Kognition darf nicht menschzentriert definiert werden

Wir Menschen definieren lieber Intelligenz neu, als auch nur in Teilaspekten eine vergleichbare Intelligenz nicht-menschlicher Tiere zu akzeptieren.

Selbst bei Schimpansen, die immer noch als Spitze der nicht-menschlichen Intelligenz gelten – egal ob berechtigt oder nicht – tut sich die Wissenschaft schwer damit, ihre Intelligenz angemessen zu erheben. Das grundlegende Problem dabei ist, dass wir Kognition und Intelligenz gleich doppelt mensch-zentriert denken und damit nicht in der Lage sind, ein für nicht-menschliche Tiere angemessenes Verständnis zu entwickeln. Der erste bezieht sich auf unseren engen Blick darauf, was Intelligenz ist, der zweite auf unsere konkrete Art, sie bei anderen Tieren zu messen.

Im Hinblick auf den ersten Punkt schreibt Frans de Waal in seinem Buch Are We Smart Enough To Know How Smart Animals Are?:

This is not to deny that humans are special—in some ways we evidently are—but if this becomes the a priori assumption for every cognitive capacity under the sun, we are leaving the realm of science and entering that of belief.

An dieser Stelle noch mehr betonen möchte ich aber unser grundsätzlich unangemessenes Herangehensweise an die Messung von Intelligenz. Hierzu wieder de Waal:

However good our relations with apes, the idea that we can test them in exactly the same way we test children is an illusion of the same order as someone throwing both fish and cats into a swimming pool and believing he is treating them the same way. […] One can see here the interplay between the redefinition of a phenomenon and the quest to know what sets us apart, but also a deeper methodological problem, because whether apes imitate us or not is wholly beside the point. For culture to arise in a species, all that matters is that its members pick up habits from one another.

Wir definieren Intelligenz also nicht nur ausgehend von unserer menschlichen Denkweise, sondern messen sie auch anhand der Interaktion anderer Tiere mit uns und nicht mit ihren Artgenoss*innen, mit denen sie in der Natur den größten Teil ihrer Zeit verbringen. Daher ist es nur angemessen von de Waal, zu fordern, dass wir die Messung von Intelligenz bei anderen Tieren grundlegend neu denken und ihr Lernen voneinander sowie ihre Interaktion miteinander in den Mittelpunkt rücken müssen:

Clearly, it is time for us to start testing animals in accordance with their biology and move away from human-centric approaches. Instead of making the experimenter the chief model or partner, we better keep him or her in the background. Only by testing apes with apes, wolves with wolves, and children with human adults can we evaluate social cognition in its original evolutionary context.

Wie beide Verzerrungen zusammenwirken, zeigt de Waal an dem spezifischen Beispiel einer Studie, in der Kleinkinder besser darin sind, das Handeln der menschlichen Experimentator*innen nachzuahmen, was gemeinhin als Zeichen höherer Intelligenz interpretiert wurde. Als dasselbe Experiment später mit Affen durchgeführt wurde, die von klein auf durch Menschen aufgezogen wurden, waren die Affen plötzlich die besseren Nachahmer: Die Kleinkinder ahmten jede Bewegung der Modelle nach, also auch diejenigen, die nicht auf das zu erreichende Ziel ausgerichtet waren. Die Affen hingegen imitierten hingegen nur die Bewegungen, die tatsächlich dazu beitrugen, das gesetzte Ziel zu erreichen. Die ahmten also nicht blind nach, sondern verstanden, was ihnen vorgemacht wurde, und setzten es in eigene Handlungskompetenz um:

With this outcome, the whole strategy of redefining imitation backfired! After all, it was the apes who best fit the new definition of true imitation. The apes were showing selective imitation, the sort that pays close attention to goals and methods. If imitation requires understanding, we have to give it to the apes, not to the children, who for lack of a better term, showed only dumb copying.

Anstatt aber nun die Intelligenz der Affen an dieser Stelle anzuerkennen, wurde prompt die Definition von Intelligenz an das Verhalten der Kinder angepasst. Das Nachahmen unnötiger Bewegungen wurde als überlegen angesehen, weil Kinder ja noch nicht abschätzen könnten, was tatsächlich notwendig ist und es deswegen „intelligent“ sei, einfach jede Bewegung zu imitieren:

Promptly, psychologists settled on a narrative in which overimitation—a new term for children’s indiscriminate copying—is actually a brilliant achievement. It fits our species’ purported reliance on culture, because it makes us imitate behavior regardless of what it is good for; we transmit habits in full, without every individual making his or her own ill-informed decisions. Given the superior knowledge of adults, the best strategy for a child is to copy them without question. Blind faith is the only truly rational strategy, it was concluded with some relief.

Hier haben wir ein weiteres gutes Beispiel dafür, wie wir westliche Menschen unsere tief sitzenden Überzeugungen im Angesicht gegenteiliger Beweise hermetisch absichern.