Intelligenz ist eine tautologische Abgrenzung zwischen Mensch und Natur

Jeremy Lent zielt stellt der spezifisch menschlichen konzeptionellen Intelligenz eine bislang in erster Linie der Natur zugeschriebene „belebte“ Intelligenz an die Seite; ohne dabei eine systematisch über die andere zu erheben.

Wir Menschen haben uns zu großen Teilen halbwegs damit abgefunden, dass wir gemeinsame Vorfahren mit den heute lebenden Affen haben und im Kern dann auch doch nur eine spezifische Art Tier in einem komplexen Stammbaum. Trotzdem ziehen wir eine sehr scharfe Grenze zwischen „uns“ und der „Natur“. Gerade in der Abgrenzung gegenüber anderen Tieren ist dabei unsere vorgebliche Intelligenz maßgeblich – unsere Fähigkeit, neuartige sowie komplexe Probleme zu lösen und uns mit anderen Exemplaren unserer Gattung abzustimmen. Die Natur nehmen wir hingegen als Automaten wahr, der einfach nur ein vorgegebenes Programm abspult.

Doch diese Wahrnehmung ist grundlegend falsch, wie Jeremy Lent in seinem Buch The Web of Meaning aufzeigt. Auch unter Pflanzen, Tieren und Pilzen gibt es eine extrem hohe Kompetenz, komplexe Probleme zu lösen, sich auf veränderte Umstände einzustellen und auch sich untereinander abzustimmen, um gezielt und gemeinsam vorzugehen. Von einzelnen Zellen bis hin zu Bäumen und gigantischen Pilz-Netzwerken findet sich auch hier eine klare Intentionalität, die auf ein bestimmtes Interesse ausgerichtet ist. So schreibt Lent:

Something every cell on Earth has in common is that it is a living entity, acting purposefully to maintain and propagate its life. It is not, as Descartes and Dawkins would have us believe, a machine. No matter how complicated a machine might be, it doesn’t possess intrinsic intentionality, which is the defining characteristic of cells.

Die zentrale Besonderheit von Menschen liegt dabei nicht in der Fähigkeit, Probleme zu lösen, besonders komplexe Probleme zu lösen oder Probleme besonders gut zu lösen. Er besteht alleine in der spezifischen Form des Denkens, dem konzeptionell-rationalen Denken, das in der fernöstlichen wie der europäischen Philosophie im Kern der Menschlichkeit steht. Während „wir“ im Westen darin eine Überlegenheit erkennen, sieht die östliche Philosophie darin eine Art Ursünde der Entfremdung der Menschen von der Welt.

Lent beschreibt hier eine besondere Form der Abgrenzung und Selbstüberhöhung des westlichen Menschenbildes, die er unter anderem auf Descartes zurückführt. Diese läuft letztlich auf eine zirkuläre Argumentation hinaus, die sich gegenüber jedem Widerspruch abschottet:

This is a classic Cartesian ruse: define a quality in terms of human behavior, then claim other animals don’t have it because they’re not human.

Mich erinnert das sehr an eine ähnliche Argumentation, mit der die westliche Philosophie im 16. Jahrhundert sicherzustellen versuchte, dass Ideen und Weltbilder aus dem „neu entdeckten“ Amerika als vormodern und damit minderwertig abgestempelt werden konnten – siehe dazu Anfänge von David Graeber und David Wengrow.

Einen Ausweg aus dieser Tautologie bietet Antonio Damasio, der die klare Unterscheidung zwischen rationaler Intelligenz und emotionalen Gefühlen aufhebt und beiden dieselbe spezifische Funktion für biologische Organismen von der Zelle bis zum Menschen zuschreibt:

As Antonio Damasio puts it, ‘we can think of feelings as mental deputies of homeostasis’. At the very root of all nervous system activity, including all that is conventionally viewed as intelligent behavior, are feelings. (Zitat aus Jeremy Lent, Web of Meaning).

Lent zielt schließlich darauf ab, der spezifisch menschlichen konzeptionellen Intelligenz eine bislang in erster Linie der Natur zugeschriebene „belebte“ Intelligenz an die Seite zu stellen, ohne dabei eine systematisch über die andere zu erheben.

Conventional biologists, such as James Gould, frequently describe this as instinct-driven ‘programming’ and contrast it to ‘genuine’ rational intelligence: after all, the bear isn’t checking the calendar, calculating the number of months she’ll be in hibernation and working out her metabolic rate. But she’s exhibiting highly intelligent behavior that reliably accomplishes the same goal, based on animate, rather than conceptual, intelligence.

Interessant ist hier die Parallele zur aktuellen Diskussion um „künstliche Intelligenz“, die einen dritten Weg der Problemlösung beschreitet und von vielen auch als „intelligent“ wahrgenommen wird. Auch hier steht das Produkt der Intelligenzleistung im Mittelpunkt und weniger der konkrete Einsatz einer klar definierten Ressource „Intelligenz“ in deren Entstehungsprozess.