Es ist nicht ganz einfach, sich auf den Gedanken einzulassen, dass der Mensch sich nicht in erster Linie durch das Ausmaß seiner Intelligenz aus der „Natur“ heraushebt, sondern nur durch deren spezifische Form und unsere Spezialisierung auf konzeptionelles Denken und symbolische Kommunikation.
Ein Grund dafür könnte die (im Kern berechtigte) Warnung sein, anderen Tieren oder gar Pflanzen keine menschlichen Emotionen oder Denkweisen zuzuschreiben. Es scheint schwer zu bestreiten, dass es ein ganz spezifisches Erleben ist, sich in dieser Welt als Mensch zu bewegen. Gleichzeitig schlägt diese Warnung vor unangemessenem „Anthropomorphismus“ zu häufig in etwas um, dass Frans de Waal „anthropodenial“ nennt: die Ignoranz demgegenüber, dass ein breites Spektrum an geteilten Emotionen zwischen Menschen und anderen Tieren. So schreibt Jeremy Lent in seinem Buch The Web of Meaning:
a sensible vigilance for inappropriate anthropomorphism has become perverted into a form of fundamentalism.
Ähnliches können wir, wie im letzten Beitrag beschrieben, mit Blick auf das Konzept der Intelligenz beobachten: Nimmt man den zirkulären Schluss „der Mensch denkt intelligent ->, andere Wesen denken anders -> also sind andere Wesen nicht intelligent“ heraus, zeigt sich eine erstaunliche Übereinstimmung zwischen der Fähigkeit, sich auf wechselnde Umstände einzustellen, auf neue Herausforderungen zu regieren und sich mit anderen Exemplaren der eigenen Spezies oder gar anderer Spezies abzustimmen.
Selbst auf zellulärer und bakterieller Ebene beschreibt Lent Prozesse der Umgebungswahrnehmung und komplexer Reaktionen:
In a process known as quorum sensing, bacteria recognize molecules discarded by other nearby bacteria, and use this information to assess how many of their own type are around.
Hier laufen komplexe biochemische Prozesse ab, die dazu führen, dass Bakterien auf das Agieren anderer Bakterien in gewisser Weise planvoll und abgestimmt reagieren. Dabei werden nur eben keine Töne durch die Luft übertragen, sondern Moleküle über ein anderes geteiltes Medium. Auch Zellen zeigen ein Verhalten, dass sich als planvoll interpretieren lässt, aber eben nicht gleichzeitig als mechanistisch determiniert:
Each cell must be aware of itself as a self: it knows what is within its membrane and what is outside; it determines what molecules it needs and which ones to discard; it knows when something within it needs fixing and how to get it done; it determines what genes to express within its DNA and when it’s time to divide and thus propagate itself.
Hier ist natürlich kein „Gehirn“ am Werk wie bei uns Menschen, aber eben doch ein hoch-komplexer Prozess, der bislang auch für unsere Wissenschaft nicht bis in das Kleinste rekonstruierbar ist. Ein drittes Beispiel findet Lent bei sehr großen Lebewesen, nämlich bei Eichen:
roots have the ability to process enormous amounts of information about their environment, including attributes such as moisture, pressure, vibration, electrical field, toxins, chemical gradients and the presence of neighboring roots. […] three oaks growing next to each other make different decisions as to when to drop their leaves for the winter, which involves a complex risk-return trade-off. One tree chooses to drop its leaves earlier than the other two, thus foregoing extra photosynthesis but reducing its risk if an early frost occurs. If they were humans, we’d say this tree was acting more prudently than the two bolder ones.
Dabei stehen die Bäume nicht für sich alleine, sondern sind über ihre Wurzeln verbunden, über die sie Informationen und auch Nährstoffe austauschen:
The most extensive communication occurs, not surprisingly, through the trees’ intelligent root network. Forest ecologist Suzanne Simard has discovered what she calls a ‘wood-wide web’ of tree communication that shares information about insects and other threats. Through a fungal web that links them together underground, trees trade nutrients such as carbon, nitrogen and water with each other.
An diesen Beispielen wird deutlich, dass die Grenze zwischen „belebter“ und „konzeptioneller“ Intelligenz stark verschwimmt: In beiden Fällen werden Informationen aus der Umwelt auf biochemische Weise verarbeitet und münden in angepasste Reaktionen. Bäume erfinden dabei zwar keine Impfstoffe, haben aber im Ergebnis doch geniale Möglichkeiten gefunden, ihr Überleben zu sichern und sich vor Krankheiten zu schützen.
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