Journalismus ist Medium, nicht Spiegel

Woher kommt eigentlich das Selbstbild von Journalist*innen, dass die Medien in erster Linie öffentliche Debatten abbilden? Diese Verteidigung kommt immer wieder auf, wenn Kritik laut wird, dass das Playbook der Faschist*innen wieder mal funktioniert hat und sie es mit kontrollierter Provokation geschafft haben, Aufmerksamkeit zu erregen und die Grenzen des Sagbaren ein wenig weiter zu verschieben, wie es z. B. Antje Schrupp hier beschreibt.

Was ist denn diese „öffentliche Debatte“, die die Medien nur „abbilden“? Wo findet sie statt? An den Stammtischen? Da ist sie nicht öffentlich. Im Parlament? Da ist sie in erster Linie politisch. Auf X, Y oder Z? Da nutzen in erster Linie die Lauten und Provokanten ihre algorithmisch aufgeblasene Reichweite. Vielleicht in geschlossenen Telegram-Gruppen? Über die liest man erstaunlicherweise recht wenig. Wo ist sie also, diese öffentliche Debatte, wenn nicht in den großen journalistischen Medien? In den lauten Schlagzeilen der Bild, den O-Tönen und Interviews der Tagesschau, den Artikeln auf faz.net oder den unzähligen – in erster Linie öffentlich-rechtlichen – Radiosendern?

Journalismus muss sich klar werden, dass er nicht öffentliche Debatten abbildet, sondern dass er öffentliche Debatten produziert, Prioritäten und Themen setzt und maßgeblich bestimmt, welche Tonalität die Öffentlichkeit bestimmt. Ein „Wir sind Papst!“ weckt Stolz, das Gefühl von Zusammengehörigkeit und Nationalismus. Ein „Heizhammer!“ produziert Skepsis, Ablehnung und sogar Hass. Und jeder Bericht, der diese Begrifflichkeit oder die erzeugte Stimmung aufgreift, verstärkt den Status-Quo-Extremismus.

Die großen Publikumsmedien zeigen hier einen seltsamen Widerspruch: Auf der einen Seite sehen sie sich als unverzichtbares Korrektiv, als „vierte Macht“, die hinter die Fassade schaut und den Menschen zeigt, was wirklich passiert. Auf der anderen Seite beschreiben sie sich selbst als reine Chronisten, die nur wiederzugeben haben, was andere sagen. Heutzutage wären sie in der ersten Funktion wichtiger als je zuvor, ruhen sich aber gemütlich in der zweiten aus.

Medien sind keine Spiegel öffentlicher Debatten. Medien sind, wie das Wort schon sagt, das Medium in dem und durch das sie funktionieren. Jetzt können und müssen sie sich entscheiden: Nehmen sie ihre selbst-zugeschriebene Funktion als Stütze der Demokratie wahr oder machen sie sich zum passiven Material, aus dem geschickte Demagogen einen populistischen Diskurs formen können, der das Ende unserer Demokratie bringen könnte?

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