Belebte Intelligenz braucht Lücken in formalen Regelungen

Als Gesellschaft haben wir ein kollektives Ich ausgebildet, das nur konzeptionell begründetes Handelns akzeptiert. Belebter Intelligenz bleibt damit nur ein Graubereich.

Heute habe ich für meinen Podcast Zwischen zwei Deckeln die Folge zu dem Buch The Web of Meaning von Jeremy Lent aufgenommen, das ja auch hier im Blog schon das eine oder andere Mal eine Rolle gespielt hat. In dem Gespräch mit meiner Mit-Podcasterin Amanda sind wir danach auf die Frage gekommen, warum das, was Lent als klassisches westliches Weltbild beschreibt, so fest in unserer Gesellschaft verankert ist. Und vor allem, was wir als Einzelne tun können, um unser Leben ein bisschen mehr auf unsere belebte Intelligenz auszurichten.

Von Amanda kam dabei der berechtigte Einwand: „Für mich und meine Umgebung kann ich das sicherlich machen, aber sobald ich für andere Verantwortung übernehme, wird das schwierig“. Hier kommt in meinen Augen einer der zentralen Punkte hervor, die für die Stabilität des Weltbildes verantwortlich sind: Wir haben auch als Gesellschaft ein Ich im Sinne Lents herausgebildet, das in erster Linie die Aufgabe hat, das Handeln der einzelnen Individuen im Sinne des Bewusstseins des kollektiven Systems zu regulieren. Hier spielt sozialer Druck eine Rolle, aber ganz besonders Gesetze, die Verantwortung regeln, Vorgehensweisen festlegen und Haftungsregeln definieren.

Sobald wir mit unserer belebten Intelligenz aus dem individuellen Handeln heraustreten in eine gewisse Form von Öffentlichkeit, müssen wir unser Handeln vor den Regeln und Erwartungen der konzeptionellen Intelligenz rechtfertigen. Vielleicht lässt sich hier sogar wieder von einer anderen Form der konzeptionellen Intelligenz reden – jetzt eben auf gesellschaftlicher Ebene. Dabei spielt insbesondere die Formalisierung eine wichtige Rolle, die Elemente der belebten Intelligenz explizit ausschließt, da sie nur in schriftliche Form gegossene Handlungsweisen zulässt und zudem einen grundlegenden konservativen Bias ausprägt: Wer das tut, was immer schon als vernünftig verstanden wurde, geht damit kaum ein Risiko ein.

Handeln, das das sich aus belebter Intelligenz begründet, oder Handeln, das sich an der tatsächlichen Realität orientiert und nicht an ihrem juristischen oder digitalen Zwilling hingegen, ist immer verdächtig. Es steht unter großem Druck, sich zu rechtfertigen, wobei aber nur konzeptionell fundierte Argumente akzeptiert werden. Damit bleibt für diese Art des oftmals auf transformativen Handelns nur der Graubereich, in dem das gesellschaftliche Ich nicht so genau hinschaut – eben das private Umfeld oder der enge Raum zwischen den formalen Regeln, in dem die soziale Praxis oder die praktische Überprüfbarkeit keine hundertprozentige formale Kontrolle zulassen – Stefan Kühl hat hier für Organisationen z. B. den Begriff brauchbare Illegalität geprägt.

Ironischerweise sind die formalen Systeme gleichzeitig aber auch darauf angewiesen, dass diese Spielräume – deren Existenz nur in Teilen überhaupt formal anerkannt wird – angemessen genutzt werden. Andernfalls würden die Systeme noch schneller sklerotisch werden und zerfallen.

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