Emotionen sind nicht global-universell

Emotionen sind keine universellen Reiz-Reaktions-Schemata, mit denen wir auf unsere Umgebung reagieren. Sie sind auch nicht biologisch determiniert oder auch nur kultur-unabhängig.

Im Gegensatz zu der Untersuchung des menschlichen Bewusstseins war sich die Forschung beim Thema Emotionen lange Zeit ihres Untersuchungsobjektes sehr sicher: Emotionen galten als klar definierte Reaktionen auf die Dinge, die um uns herum geschehen. Untersuchungen mithilfe von Fotos und Listen von Emotionen legten dabei sogar nahe, dass Emotionen menschlich universell sind und unabhängig von kulturellem Hintergrund oder Sozialisation. Ja, sogar die mit ihnen verbundenen Gesichtsausdrücke wurden als universelle Konstanten verstanden.

Hierzu schreibt Lisa Feldman Barrett in ihrem Buch How Emotions Are Made:

From this evidence, scientists concluded that emotion recognition is universal: no matter where you are born or grow up, you should be able to recognize American-style facial expressions like those in the photos. The only way expressions could be universally recognized, the reasoning went, is if they are universally produced: thus, facial expressions must be reliable, diagnostic fingerprints of emotion.

Mittlerweile gibt es jedoch eine umfangreiche Forschungsliteratur, die diese weitreichende Schlussfolgerung in Zweifel zieht. Schaut man genau auf die Methodik, zeigt sich nämlich, dass hier keineswegs erlebte Emotionen erkannt werden, sondern von Schauspielern geplant inszenierte – also ein stereotypes oder klischeehaftes Bild dieser Emotionen. Dies zeigt sich besonders deutlich daran, dass die von den Schauspieler*innen auf den Fotos gezeigten Gesichtsausdrücke keineswegs denen entsprechen, die Menschen zeigen, die diese Emotionen tatsächlich empfinden:

Hundreds of experiments have shown that people worldwide can match emotion words to so- called expressions of emotion, posed by actors who aren’t actually feeling those emotions. However, those expressions can’t be consistently and specifically detected by objective measures of facial muscle movements when people are actually feeling emotion.

Auch das Benennen der auf den Fotos dargestellten Emotionen ist keineswegs so universell, wie es die immer wieder zitierten Studien erscheinen lassen. Es funktioniert nämlich nur dann universell, wenn (1) die Teilnehmenden aus einer vordefinierten Liste von Emotionen auswählen können und diese nicht frei benennen müssen und (2) wenn den Teilnehmern mit anderen kulturellen Hintergründen die westlichen Emotionen zumindest kurz erklärt werden. Hierzu schreibt Feldman Barrett:

Of the seven samples using test subjects from remote cultures, the four that used the basic emotion method provided strong evidence for universality, but the remaining three used free labeling and did not show evidence of universality. These three contrary samples were not published in peer- reviewed journals but only as book chapters— a lesser form of publishing in the world of academia— and are rarely cited.

Hier zeigt sich wie so oft, dass universell akzeptierte wissenschaftliche Erkenntnis keineswegs so gesichert sein muss, wie sie auf den ersten Blick erscheint. Die Auswahl der Methoden und die soziale Dynamik des wissenschaftlichen Prozesses spielen hier eine zentrale Rolle.

Für Emotionen bedeutet dies, dass sie eben nicht universelle Reiz-Reaktions-Schemata sind, sondern komplexer gedacht werden müssen.

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