Menschheit als Zwischenschritt zu digitalem Leben

Das naive, technoutopische Weltbild unser Techno-Milliardäre hat nicht nur fragwürdige Grundlagen, sondern propagiert auch ein sehr spezifisches Bild der Zukunft, in der es nicht unbedingt darum geht, das Leben der Menschen zu verbessern. Die Autor*innen Timnit Gebru und Émile P. Torres haben dafür das etwas unhandliche, aber umfassende Kürzel TESCREAL geprägt, das alle problematischen Aspekte vereint. So schreibt Torres in seinem Artikel AI and the threat of „human extinction“: What are the tech-bros worried about? It’s not you and me:

the essence of TESCREALism — meaning the worldview that arises from this bundle — is simple enough: at its heart is a techno-utopian vision of the future in which we re-engineer humanity, colonize space, plunder the cosmos, and establish a sprawling intergalactic civilization full of trillions and trillions of „happy“ people, nearly all of them „living“ inside enormous computer simulations. In the process, all our problems will be solved, and eternal life will become a real possibility.

Es geht dieser Zukunftsvision also nicht darum, das Leben der jetzigen Menschen immer weiter zu verbessern und so zu einer gesunden, nachhaltigen Welt beizutragen. Es geht nicht einmal darum, die Menschheit als solche zu erhalten, sondern diffuse und oft digitale „Nachfolger“ zu erschaffen, die im Anschluss an „uns“ … Ja, was denn eigentlich?

The whole point of transhumanism, the backbone of the TESCREAL bundle, is to „transcend“ humanity.

Das ist auf der einen Seite, sehr langfristig gedacht, natürlich richtig, weil die Evolution natürlich auch nicht spurlos an homo sapiens vorbeigeht. Auf der anderen Seite ist die hier gemeinte Evolution alles andere als die klassische Interaktion zwischen Variation und Selektion. Hier geht es, ironischerweise, tatsächlich um mehr oder weniger intelligentes Design und eine Entkörperlichung des menschlichen Lebens:

TESCREALists see our species as nothing more than a springboard to the next „stage“ of „evolution,“ a momentary transition between current biological life and future digital life,

Auch wenn man über diese Option einer menschlichen Zukunft vielleicht nachdenken könnte, ist es doch sehr fragwürdig, dafür im Zweifel das Aussterben der physischen Menschheit in Kauf zu nehmen. Dies ist nämlich der zentrale Punkt von Torres in seinem Artikel:

When TESCREALists talk about „human extinction,“ they aren’t actually talking about Homo sapiens but this broader category that could include digital beings or intelligent machines. So Homo sapiens could disappear entirely and forever without „human extinction“ (by this definition) having happened

Dazu kommt ein grundlegend imperialistischer Impetus des TESCREAL-Weltbildes, der die Zukunft der Menschen in der Expansion und Kolonisation des Weltraums sieht – vielleicht das zentrale Motiv der klassischen Science-Fiction.

This matters because, as noted, at the heart of TESCREALism is the imperative to spread throughout the whole accessible universe, plundering our „cosmic endowment“ in the process, and creating trillions upon trillions of future „happy“ people.

All dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine digitale Menschheit an sich besser wäre, als die Menschheit, die wir heute haben. Doch wer bestimmt eigentlich die Eigenschaften unserer simulierten Nachfolger? Wer entwickelt die Hardware und den Code dieser Menschen? Gibt ihnen virtuelle Hautfarben, Rechenkapazität und Ausfallsicherheit? Ich habe da eine Vermutung, wie die Techno-Utopisten sich das vorstellen. Torres dazu:

But posthumans would have their own flaws and shortcomings. Perhaps being five times „smarter“ than us would mean they’d be five times better at doing evil. Maybe developing the technological means to indefinitely extend posthuman lifespans would mean that political prisoners could be tortured relentlessly for literally millions of years. Who knows what unspeakable horrors might haunt the posthuman world?