Es gibt keine Fingerabdrücke von Emotionen

Weder im Gesicht noch im Körper oder dem Gehirn lassen sich zuverlässige Indikatoren für bestimmte Emotionen identifizieren.

Die Idee, dass Emotionen menschlich-universell sind und möglicherweise sogar biologisch determiniert, war eng mit einem bestimmten Ansatz der Erforschung von Emotionen verbunden: der Suche nach ihrem „Fingerabdruck“. Das Ziel war es, einen körperlichen Ausdruck zu finden, der eindeutig mit einer Emotion in Verbindung gebracht werden kann: Ist er vorhanden, liegt immer die Emotion vor, und liegt die Emotion vor, ist er immer vorhanden. Lisa Feldman Barrett schreibt dazu in ihrem Buch How Emotions are Made:

In a laboratory, scientists should be able to tell whether someone is sad or happy or anxious just by looking at physical measurements of a person’s face, body, and brain.

Hier kommt jedoch ein Phänomen ins Spiel, dem wir auch schon bei Erik Hoels Überlegungen zur Emergenz begegnet sind: die „multiple realizability“ eines Phänomens. So schreibt Feldman Barrett über die Suche nach Gesichtsausdrücken an Indikatoren für Emotionen:

An emotion like “Fear” does not have a single expression but a diverse population of facial movements that vary from one situation to the next.

Ähnliches gilt auch für biophysische Phänomene wie Blutdruck, Herzschlag, Oberflächenspannung der Haut, usw.:

Many such studies found great variability in physical measurements, meaning no clear pattern of bodily changes that distinguished emotions. […] None of these four meta- analyses found consistent and specific emotion fingerprints in the body. Instead, the body’s orchestra of internal organs can play many different symphonies during happiness, fear, and the rest. (S. 14)

Es zeigt sich hier, dass es eben keinen universellen Ausdruck bestimmter Emotionen gibt. Diese sind stattdessen immer abhängig vom Kontext und können sich von Person zu Person und von Situation zu Situation unterscheiden. Dabei lassen sich zwar statistische Muster identifizieren, diese bilden nur Durchschnittswerte und Korrelationen an, und eben keine „Fingerabdrücke“:

It doesn’t mean that emotions are an illusion, or that bodily responses are random. It means that on different occasions, in different contexts, in different studies, within the same individual and across different individuals, the same emotion category involves different bodily responses.

Auch der Blick auf das Gehirn hilft hier nur begrenzt weiter. Selbst in der Breite etablierte Überzeugungen wie „Die Angst sitzt in der Amygdala“ lassen sich bei genauem Hinsehen nicht bestätigen.

So gibt es eine bekannte Untersuchung anhand einer Patientin mit geschädigter Amygdala. Mit dem angewandten standardisierten wissenschaftlichen Verfahren ließ sich bei ihr kein Gefühl der Angst auslösen. Der Schluss, das die Amygdala für die Angst maßgeblich ist, liegt daher nahe. Er wird aber dann unzulässig, wenn andere Verfahren durchaus in der Lage sind, bei der Patientin Ansatz auszulösen:

Overall, SM seemed fearless, and her damaged amygdalae seemed to be the reason. From this and other similar evidence, scientists concluded that a properly functioning amygdala was the brain center for fear. […] So SM could clearly feel and perceive fear under some circumstances, even without her amygdalae. (S. 18)

Auch die klassische Methode der Bewusstseinsforschung, also die Korrelation zwischen Empfindungen und Aktivitätsmustern des Gehirns, stößt hier an ihre Grenzen. Sie kann ebenfalls nicht mehr liefern als grobe Korrelationen:

Some of these scientists claim that the statistical summaries depict neural fingerprints for anger and fear. But that’s a gigantic logical error. The statistical pattern for fear is not an actual brain state, just an abstract summary of many instances of fear. These scientists are mistaking a mathematical average for the norm.

Der Ausdruck von Emotionen ist als keineswegs universell, ja, mit gängigen Verfahren nicht Mal zuverlässig messbar. Emotionen sind demnach vermutlich mehr als einfache Reiz-Reaktions-Schemata.

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