Zweimal Fußball, zwei Songs und zwei Visionen der globalisierten Welt

Zwischen der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich 1998 und der Europameisterschaft 2016 im selben Land lagen nur 18 Jahre. Wie sehr sich die Idee einer grenzenlosen Welt seitdem verändert hat, lässt sich am Vergleich der beiden offiziellen WM-/EM-Songs erkennen.

Zwischen der Fußballweltmeisterschaft in Frankreich 1998 und der Europameisterschaft 2016 im selben Land lagen nur 18 Jahre. Wie sehr sich die Idee einer grenzenlosen Welt seitdem verändert hat, lässt sich am Vergleich der beiden offiziellen WM-/EM-Songs erkennen:

Der Song der WM 1998 kommt von den britischen Musikern Dario G und ist unter dem Titel „Carnaval de Paris“ bekannt geworden, der Song der EM 2016 hingegen ist von David Guetta und trägt den vielversprechenden Namen „This One’s For You“. Was verrät uns der Vergleich der beiden Songs darüber, wie wir mittlerweile die Welt sehen und insbesondere welche übergreifende Vision einer wahrhaft globalen Welt wir anstreben? Hier könnten beide Songs, obwohl quasi ohne Text und elektronisch produziert, kaum unterschiedlicher sein: „Carnaval de Paris“ von 1998 feiert die Vielfalt, „This One’s For You“ von 2016 feiert die Gleichförmigkeit.

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Das Stück von Dario G greift Einflüsse, Rhythmen und Instrumente aus vielen unterschiedlichen Kulturen auf und mischt sie zu einem Stück, das unverkennbar französisch ist und damit den Gastgeber repräsentiert. Mir macht das Stück immer noch Gänsehaut, weil es wenig Musik gibt, die gleichzeitig so vielfältig und so fröhlich ist, die Unterschiede aufzeigt, ohne sie zu bewerten und in meinen Augen das fröhliche Zusammenleben, das gemeinsam Feiern und das gegenseitige Wertschätzen betont. Diese Welt ist bunt und lebendig, vielfältig und trotz der elektronischen Produktion unperfekt und im Kern menschlich.

Wie anders ist die Atmosphäre, die David Guetta in seinem Stück vermittelt: Unterschiedliche musikalische Einflüsse sucht man hier ebenso vergebens wie Vielfalt oder Menschlichkeit. Es geht um den perfekten Rhythmus, Inszenierung und die universelle Tanzbarkeit – eine Musik, die sich als kleinster gemeinsamer Nenner etablieren konnte. Hier geht es um Vereinheitlichung und die Anpassung der Menschen an ein technisch-wissenschaftliches Ideal, das seine fraglos vorhandenen kulturellen Wurzeln überspielt und hinter einer Fassade der Fröhlichkeit verbirgt.

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Das Stück ist durch seine unbedingte Tanzbarkeit gleichzeitig unmittelbar körperlich und formal-abstrakt. Es negiert die Geschichte und die Existenz historisch gewachsener Kulturen und löst damit das Individuum aus der Gemeinschaft aller Menschen. Es feiert das kontextlose Feiern, das seinen Sinn rein aus der individuellen Befriedigung zieht. Ich merke, dass selbst meine Sprache förmlicher wird, wenn ich über dieses Stück schreibe.

Ich mag dieses Ideal der Welt nicht, in dem Unterschiede durch eine Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner ausgebügelt werden. In dem das technisch-formal Perfekte über das menschlich-leidenschaftliche Unperfekte geht. Und in dem kulturelle Unterschiede in erster Linie als Hindernisse oder gar als gefährlich wahrgenommen werden. Ich wünsche mir hingegen die Welt aus „Carnaval de Paris“, in der wir in der Lage sind, Unterschiede nicht nur zu tolerieren sondern zu feiern. In der wir uns nicht einander angleichen müssen, sondern sein können, wie wir sind, und in der wir miteinander leben, reden, feiern und diese Welt gestalten.

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