Aktueller Konservatismus ist Status-Quo-Extremismus
Der Blick auf die aktuelle politische und gesellschaftliche Diskussion im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel bringt mich immer wieder an denselben Punkt: die Positionen, die heutzutage als „konservativ“ oder auch „rechtspopulistisch“ gelten, zeichnen sich durch eine Naturalisierung des Bestehenden und überhöhte Ansprüche an das Neue aus. Sie spiegeln damit eine Art Status-Quo-Extremismus wider.
Das Alte ist Normal
Im Kern dieses Blicks auf die Welt steht eine fundamentale Angst vor dem Wandel. Wobei, nicht vor jedem Wandel, sondern nur vor dem Wandel, der nicht gleichzeitig absolut kontrollierbar ist und mir und den meinen nicht weh tut. Dabei fehlt die Fähigkeit, Risiken einzugehen und Gefahren sowie Chancen realistisch und vor allem ganzheitlich einzuschätzen. Der argumentative Mechanismus dahinter ist im Grunde leicht zu durchschauen. Es bleibt nur offen, ob die entsprechenden Personen dieser Argumentation tatsächlich selbst folgen, oder ob sie sie in erster Linie als rhetorischen Kniff in der Außendarstellung und Rationalisierung verwenden:
Der Status Quo gilt in dieser Denkweise nicht als ein historisch bedingter Zwischenschritt, der sich in einem komplexen sozialen Prozess entwickelt hat und Vor- wie Nachteile aufweist. Er gilt vielmehr als der „natürliche“ Zustand der Welt, in dem alles seine Ordnung hat. Er ist quasi die Umkehrung des alten Spruche „weil nicht sein kann, was nicht sein darf“ – „Weil sein muss, was ist“ – und damit die ultimative Form des naturalistischen Fehlschlusses. Damit wird dieser Status Quo nicht nur durch real existierende Strukturen stabilisiert, sondern auch durch eine moralische Unterfütterung und einen Normalitätsanspruch, gegen den sich jede Form des Wandels durchsetzen muss.
Das Neue muss perfekt sein
Wandel kann vor diesem Hintergrund einfach delegitimiert werden: Es reicht ein Verweis auf einen beliebigen potentiellen Nachteil oder auch nur eine ungeklärte Frage im Hinblick auf den Vorschlag. Dabei wird ein quasi-objektiver Maßstab der „perfekten“ Lösung ohne jede Nachteile angelegt, der niemals erfüllt werden kann. Dabei bleibt der pragmatische Vergleich zwischen dem Status Quo und der vorgeschlagenen Veränderung außen vor. Diese tritt nämlich nicht gegen eine „perfekte Welt“ an, in der alles bisherige perfekt und fehlerfrei ist, sondern gegen eine konkrete Situation, in der die bestehenden Strukturen meist gute Gründe haben, aber eben auch eklatante Nachteile. Oder noch perfider: Die Verteidigung der bestehenden Strukturen sorgt überhaupt erst für den Nachteil, der den Neuen zugeschrieben wird.
Nehmen wir nur mal das Thema Mobilität: Da werden die Umweltschäden durch Kobalt und Lithium in Elektroautos kritisiert, die durch das Bohren von Öl und dessen Verarbeitung ignoriert. Da wird der fehlende ÖPNV beklagt, der in erster Linie deswegen fehlt, weil so lange nur auf das Auto geschaut wurde. Da werden unpünktliche Züge beklagt, die auf uralten Gleisen fahren müssen, weil mehr Geld in den Bau von Autobahnen fließt, und, und, und …
Auf diese Weise haben neue Ideen keine Chance, sich zu beweisen oder gar durchzusetzen, weil sie immer vor einer perfekt-reinen Kontrastfolie bewertet werden und eben nicht vor dem Hintergrund und im Verlgeich zu den bestehenden Strukturen. [[Wissenschaftliches Wissen informiert gesellschaftliche Entscheidungen, muss aber immer in einen ehrlichen Diskurs eingebunden werden | Dabei müssen alle Vor- und Nachteile transparent gemacht werden, um eine wirklich vernünftige Entscheidung zu ermöglichen]]). |