Lesende sollten öfter neben den Strom treten
Der Strom ist in erster Linie für den Konsum gedacht. Leser*innen stehen an seinem Rand und schauen, was jetzt gerade Interessantes an ihnen vorüber schwimmt. Durch einen Garten hingegen kann man schlendern, wann immer man gerade will. Dabei bleibt vieles über die Zeit hinweg bestehen, manches verändert sich aber auch. Es wächst und gedeiht. Ein Garten ist also entschleunigt und inspirierend. Aber eben auch vernetzt – Wege führen von hier nach dort. Dies macht Mike Caulfield sehr schön deutlich.
Im Gegensatz dazu sind die verschiedenen Flaschenpöste in dem Strom nur sehr lose gekoppelt. Im Strom sind Links in erster Linie Verweise auf einzelne interessante Inhalts-Atome. Im Garten werden sie zu sinntragenden Verknüpfungen, die wirklich im Wortsinne einen „Link“ herstellen.
Als Konsumierende neben den Strom treten
Wenn das Internet als Strom organisiert ist, ist das für das systematische und vertiefte Nachdenken nicht unbedingt hilfreich. Wenn wir uns als Leser*innen in diesen Strom stellen, haben wir keine andere Möglichkeit, als interessante Texte oder Gedanken dann zu rezipieren, wenn wir ihnen gerade über den Weg laufen – egal ob wir gerade in der Warteschlange im Supermarkt eigentlich nur zwei Minuten bei Twitter scrollen wollen. Wenn wir einem Link nicht jetzt folgen, wird er vermutlich vergessen sein, wenn wir zwei Stunden später zu Hause Zeit für ihn hätten. Oder wir teilen einen Link, weil die Überschrift gut klingt, wir aber eigentlich keine Zeit hatten, ihn wirklich zu lesen.
Auf diese Weise ist der Strom der sozialen Medien nicht nur für uns wenig nützlich, sondern wir tragen auch noch dazu bei, ihn reißender zu machen und teilen Inhalte, von denen wir eigentlich gar nicht wissen, wie gut sie wirklich sind.
Gleichzeitig zwingen wir auf diese Weise Autor*innen dazu, ihre Texte dieser zeitlichen Logik anzupassen: sie zu verkürzen, zu vereinfachen und möglichst laut anzupreisen. Es wird für sie zum Risiko, wenn sie Inhalte neben dem Strom platzieren.
Deshalb habe ich meinen Umgang mit den sozialen Medien so eingerichtet, dass ich einen interessanten Link oder eine gute Idee jederzeit aus dem Strom herausnehmen und in meine eigene Infrastruktur überführen kann, die auch meiner eigenen Zeitlogik folgt. So kann ich entspannt durch meine Timeline scrollen, mir interessante Verweise einfach abspeichern und mich ihnen dann widmen, wenn ich Zeit und Muße dafür habe. Vollkommen unabhängig vom reißenden Strom.
Der Schritt neben den Strom führt auch dazu, dass ich mir wesentlich bewusster mache, welche Informationen jetzt vielleicht aktuell sind und deswegen relevant erscheinen und welche eigentlich wirklich für mich interessant und wichtig sind. Ein Punkt, den Rolf Dobelli in seinem provokanten Buch Die Kunst des digitalen Lebens sehr schön ausführt.