Kapitalismus im Journalismus verzerrt die öffentliche Debatte

Journalistische Medien verstehen sich gerne als „Korrektiv“ gegenüber den Mächtigen in einer Gesellschaft. Gleichzeitig geben sie sich als objektive „Chronisten“ einer externen „öffentlichen Debatte“. Sie verkennen dabei oft jedoch nicht nur ihre eigene Rolle, sondern stützen auch strukturell die ohnehin schon Mächtigen: diejenigen mit genug Kapital, um die öffentliche Debatte in ihrem Sinne zu beeinflussen.

Eine zentrale Rolle spielt dabei die unterschiedliche Finanzsituation zwischen progressiven Medien und konservativen oder gar rechtspopulistischen. Hierzu schreibt Malene Gürgen in der taz:

Wo die Vertreter des Kapitals oder konservativer Kräfte zahlungskräftige Förderer im Rücken haben oder von Werbeetats großer Konzerne profitieren, haben Linke meist nur ihre Arbeitskraft, die sie unter Wert in publizistische Projekte stecken.

Während linke Medien unter ständigem Refinanzierungsdruck stehen und sich dabei auch noch besonders hohe Standards setzen, können andere auf das angesammelte Kapital diverser Großmäzene zurückgreifen. Das verschafft diesen Medien nicht nur Planungssicherheit, sondern auch schlicht professionellere Produktionsbedingungen oder mehr Geld für Werbung und auffällige Titelbilder.

Einen weiteren wichtigen Aspekt in diesem Zusammenhang spricht Nathan Robinson in Current Affairs an:

the Hoover Institute will freely give you Richard Epstein’s infamous article downplaying the threat of coronavirus, but Isaac Chotiner’s interview demolishing Epstein requires a monthly subscription, meaning that the lie is more accessible than its refutation

Auch wenn wir uns hier nicht ganz an der Grenze zwischen progressiv und konservativ bewegen, so zumindest in ihrer Nähe: guter Journalismus kostet Leser*innen Geld, schlechten oder gar bewusst irreführenden hingegen gibt es kostenlos und im Überfluss.

Alle beschriebenen Prozesse führen zu einem systematischen Ungleichgewicht in der öffentlichen Debatte. Progressive Medien erreichen nur die Menschen, denen sie ohnehin schon sympathisch sind. Sie werden mehr als abgeschlossene Nische wahrgenommen, als als echte „Öffentlichkeit“:

We can’t afford to keep our reach to those who like us so much that they are willing to pay money to listen, because then the free bullshit wins. It’s hard for small media institutions to figure out the right balance of depending on ads, paywalls, and donations. The money has to come from somewhere, after

Eine mögliche Lösung böte hier der öffentlich-rechtliche Rundfunk, der in Deutschland glücklicherweise immer noch sehr gut ausgebaut ist. Dort finden sich neben (meist) zutreffenden Informationen auch gute Reportagen und wichtige Recherchen – gleichzeitig aber leider auch unsägliche Talkshows und nicht zu rechtfertigende Sommerinterviews. Ich kann hier aber zumindest zu einem gewissen Maße nachvollziehen, dass man sich nicht zu sehr mit einer konkreten politischen Strömung gemein machen möchte – auch wenn der Both-Sidesim hier auch manchmal zu weit geht.

Wie könnte also eine Lösung aussehen, die den systematischen Nachteil progressiver Medien zumindest teilweise ausgleicht?

(Foto von Claudio Schwarz auf Unsplash)

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