Man kann Geld anders denken

Das aktuelle Narrativ über das Geld, seine Herkunft, seine Funktionen und seine Eigenschaften ist keineswegs einfach so wahr, auch wenn noch so viele Einführungsvorlesungen in die Volkswirtschaftslehre das behaupten.

Geld ist vermutlich die Illusion mit dem stärksten Einfluss auf das Wohl und Wehe unserer Gesellschaften. Es ist ein selbstverständlicher Bestandteil unserer Welt und wird im Alltag nur selten systematisch hinterfragt. Zinssätze werden diskutiert oder Steuern, aber das Konzept des Geldes selbst scheint in Stein gemeißelt. Jacob Baynham stellt in seinem Artikel What If Money Expired? nun einen grundlegend anderen Blick auf das Geld vor. Dabei bezieht er sich in erster Linie auf das Buch Money: The True Story of a Made-Up Thing von Jacob Goldstein. Dieser schreibt:

Whatever money is at a given moment comes to seem like the natural form money should take, and everything else seems like irresponsible craziness.

Damit kommt er auch gleich zum Kern des Problems, wie ja beispielsweise auch David Graeber in seinem Buch Schulden aufzeigt: Das aktuelle Narrativ über das Geld, seine Herkunft, seine Funktionen und seine Eigenschaften ist keineswegs einfach so wahr, auch wenn noch so viele Einführungsvorlesungen in die Volkswirtschaftslehre das behaupten. Während Graeber sich in seinem Buch in erster Linie auf die Rolle des Staates in der Geldwirtschaft fokussiert, stellt Baynham in seinem Artikel die Idee eines quasi-vergessenen deutschen Ökonomen vor: Silvio Gesell.

Dieser sah sich selbst als Kritiker des Kapitalismus, aber nicht in der marxistischen Form, sondern eher im Anschluss an den heute oft sehr selektiv zitierten Adam Smith. Er störte sich daran, dass Geld als Aufbewahrungsmittel von Wert dazu führt, dass Menschen große Mengen davon anhäufen können und diese so aus dem aktiven Wirtschaftskreislauf entziehen, weil es eben nur da liegt und nicht zirkuliert. So schreibt Gesell:

We must make money worse as a commodity if we wish to make it better as a medium of exchange.

Von diesem Ausgangspunkt entwickelt er seine Idee des „Freigeldes“, die nicht nur aus heutiger Sicht radikal wirkt: Wir brauchen Geld, das Laufe der Zeit an nominellem Wert verliert, wenn es nicht zirkuliert. Jede Woche, die es im Besitz derselben Person ist, könnte es so beispielsweise 0,1 % seines Wertes verlieren. Das würde die Eigentümer des Geldes dazu motivieren, es schnell wieder auszugeben und den Wirtschaftskreislauf damit in Gang zu halten.

Zu seiner Zeit war diese Idee ähnlich radikal wie heute, es gab aber durchaus Versuche, die in einzelnen Städten oder Regionen umzusetzen. Ein solches Beispiel war das österreichische Wörgl, wo „Work Certificates“ ausgegeben wurden und zirkulierten. Und das nicht zu knapp:

In one year, the Work Certificates traded hands 463 times, creating goods and services worth almost 15 million schillings. By contrast, the ordinary schilling was exchanged only 21 times.

In seiner einfachen Form bietet diese Form des Geldes natürlich zahlreiche Möglichkeiten, den Abwertungsmechanismus zu umgehen – beispielsweise die Anlage des Geldes in Gold statt in Scheinen. Und doch bietet sie interessante Denkansätze, die uns auch in der heutigen ökonomischen Misere weiterhelfen könnten. Auch heute besteht ein großes Problem darin, dass zu viel Geld „rumliegt“ und durch clevere Finanzinstrumente Rendite abwirft, ohne tatsächliche „realwirtschaftliche“ Wertschöpfung zu betreiben. Vielleicht sollten wir da tatsächlich mal ein wenig genauer drüber nachdenken? Und wäre nicht letztlich eine Vermögenssteuer auch ein Schritt in genau diese Richtung?

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