Lassen sich Wälder als emergent-intelligente Systeme verstehen?

Wenn wir Intel­li­genz als emer­gentes Phänomen ver­ste­hen, müssen wir immer zwei Ebe­nen bedenken: eine „Mikro“-Ebene, auf der viele unter­schiedliche Ele­mente miteinan­der ver­bun­den sind und inter­agieren und eine „Makro“-Ebene, auf der wir das Phänomen beobacht­en kön­nen, das wir dann als „intel­li­gent“ beze­ich­nen. Dabei ist die „Intel­li­genz“ nicht scharf definiert, ste­ht aber sicher­lich eng ver­bun­den mit der Fähigkeit, kom­plexe Prob­leme zu lösen.

Mit einem solchen Blick auf Intel­li­genz, nicht als men­schliche Spezialfähigkeit, son­dern als all­ge­meines Phänomen, lässt sich auch darüber nach­denken, ob nicht beispiel­sweise Wälder als „intel­li­gent“ beze­ich­net wer­den kön­nen. So schreibt Peter Wohlleben in seinem Best­seller Das geheime Leben der Bäume:

Der Aus­tausch von Nährstof­fen, die Nach­barschaft­shil­fe im Not­fall, ist anscheinend die Regel und führte zu der Fest­stel­lung, dass Wälder Super­or­gan­is­men sind, also ähn­liche Gebilde wie etwa ein Ameisen­haufen.

Hier ist die Intel­li­genz dann nicht auf der Ebene der einzel­nen Indi­viduen verortet – also der Ameisen oder eben Bäume –, son­dern in deren Kollek­tiv. Hierin laufen kom­plexe Prozesse ab, die auf der aggregierten Ebene in der Lage sind, kom­plexe Prob­leme zu lösen. Auch hier bietet Wohlleben wieder ein konkretes Beispiel:

Ein Baum ist kein Wald, kann kein lokales aus­geglich­enes Kli­ma her­stellen, ist Wind und Wet­ter schut­z­los aus­geliefert. Zusam­men dage­gen schaf­fen viele Bäume ein Ökosys­tem, das Hitze- und Käl­te­ex­treme abfed­ert, eine Menge Wass­er spe­ichert und sehr feuchte Luft erzeugt.

Die kollek­tive Intel­li­genz bedeutet jedoch keineswegs, dass nicht auch bei den Bäu­men kom­plexe Prozesse zu beobacht­en sind, die wir Pflanzen bish­er nur sel­ten zugeste­hen. So schreibt Wohlleben:

Pflanzen und fol­glich auch Bäume kön­nen ihre Wurzeln von denen fremder Spezies und sog­ar ander­er Exem­plare der eige­nen Art sehr wohl unter­schei­den. (Pos. 124)

Selb­st hier zeigt sich also ein gewiss­es Maß an Eigen­wahrnehmung, die wir noch vor Kurzem selb­st weni­gen Tier­arten zuge­s­tanden haben. Bäume wer­den sicher­lich keinen Spiegel­test beste­hen, sie unter­schei­den jedoch sys­tem­a­tisch zwis­chen sich selb­st und anderen. Und es gibt noch weit­ere Fähigkeit­en von Bäu­men: Sie schließen untere­inan­der sog­ar eine Art von Fre­und­schaft, bei der sie nicht, wie mit anderen Bäu­men, um kost­baren Luftraum rin­gen:

Ein Durch­schnitts­baum macht sich mit seinen Ästen so lange bre­it, bis er an die Zweigspitzen eines gle­ich hohen Nach­barn stößt. Weit­er geht es nicht, weil hier der Luft- oder bess­er Lich­traum schon beset­zt ist. Trotz­dem wer­den die Ausleger kräftig ver­stärkt, sodass man den Ein­druck hat, dass dort oben regel­recht gerun­gen wird. Ein echt­es Fre­un­despaar dage­gen achtet von vorn­here­in darauf, keine allzu dick­en Äste in Rich­tung des anderen auszu­bilden. Man will sich nicht gegen­seit­ig etwas weg­nehmen und bildet kräftige Kro­nen­teile daher nur nach außen, also zu den »Nicht­fre­un­den« hin. Solche Paare sind so innig über die Wurzeln ver­bun­den, dass sie manch­mal sog­ar gemein­sam ster­ben.

Am Beispiel der Bäume und Wälder zeigt sich wieder ein­mal, wie beschränkt der men­schen­zen­tri­erte Blick auf die Intel­li­genz ist. Eine all­ge­meinere Per­spek­tive erlaubt hier ein umfassenderes Ver­ständ­nis und auch eine dif­feren­zierte Abgren­zung unter­schiedlich­er For­men der Intel­li­genz.

Quellen

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert