Schreiben für den Markt oder für Mäzene?

Bei jeder Art der Produktion kultureller Güter – seien es Bücher, Filme, Musik, Journalismus oder was auch immer – geht es auch immer darum, wer sie finanziert, also dem- oder denjenigen, die sie Schaffen den Lebensunterhalt ermöglicht, Recherchereisen bezahlt oder Materialien beschafft. Das Onlinemagazin Krautreporter, das ich vor ein paar Tagen bereits einmal thematisiert habe, versucht nun im Journalismus neue Wege zu gehen, indem es sich ausschließlich über finanzielle Beiträge seiner Leserinnen und Leser finanzieren möchte. Bei einem anvisierten Jahresetat von 900.000€ kein bescheidenes Unterfangen.

Stefan Niggemeier, einer der an Krautreporter beteiligten Journalisten, begründet diese Strategie mit der höheren Qualität, die auf diese Weise erreicht werden könnte:

Deutsche Online-Medien finanzieren sich zum größten Teil über Werbung. Wer mehr Klicks generiert, verdient mehr. Weil Online-Werbung billig ist, müssen Online-Medien ganz besonders viele Klicks generieren. Es müssen möglichst viele Artikel publiziert werden, die geklickt werden. Jeder einzelne Artikel muss möglichst häufig geklickt werden. Innerhalb des Artikels muss es möglichst viele Anreize geben, nochmal irgendwo hinzuklicken.

Vor diesem Hintergrund ensteht verständlicherweise ein Journalismus, der darauf abzielt, vielen Lesern zu gefallen und so möglichst weite Verbreitung findet. Qualität lässt sich auf diese Weise jedoch nicht produzieren argumentiert Niggemeier, indem er einen Parallele zu der Qualität von Fernsehserien in den USA und Deutschland zieht:

Dass „True Detective“ so gut ist, liegt auch daran, dass die Serie keine zehn Millionen Zuschauer erreichen muss und es auch nicht versucht hat, mit all den Zugeständnissen und Kompromissen an den Massengeschmack, die damit verbunden wären. Viele deutsche Serien sind so enttäuschend, weil sie nicht dafür gemacht sind, eine begrenzte Zahl von Menschen möglichst glücklich zu machen, sondern von möglichst vielen Menschen irgendwie halbwegs okay gefunden zu werden.

Dahinter steckt das Problem, dass Werbung nur dann effektiv sein kann, wenn sie entweder sehr spezifisch auf ein bestimmtes Zielpublikum gerichtet werden kann oder wenn sie eine möglichst große Menge an Menschen erreicht. Gleichzeitig liegen die Einnahmen pro Person selbst bei gutem Targeting aber deutlich unter dem, was ein Einzelner für ein gut gemachtes Produkt in seinem Interessenbereich zu bezahlen bereit ist. Seitdem online auch Nischencommunities eine beträchtliche Größe annehmen können – vgl. die Idee des long tails -, entsteht auch hier ein lohnenswerter Markt für direkt bezahlte Produkte.

Eine ähnliche Argumentation findet sich auch bei dem großartigen Neal Stephenson, dessen Bücher regelmäßig auf meinem Zu-Lesen-Stapel landen, die ich aufgrund ihrer Komplexität und Fülle dann jedoch gerne auf die lange Bank schiebe… 😉 In einem Interview auf Slashdot wurde er gefragt:

Science Fiction is normally relegated to the specialist publications rather than having reviews in the main stream press. Seen as „fringe“ and a bit sad its seldom reviewed with anything more than condescension by the „quality“ press. Does it bother you that people like Jeffery Archer or Jackie Collins seem to get more respect for their writing than you ?

In seiner Antwort hierauf unterscheidet er zwischen Beowulf- und Dante-Autoren, also solchen, die für ein allgemeines Publikum schreiben und auch von diesem für Ihre Arbeit entlohnt werden und solchen, die auf regelmäßige Finanzspritzen aus einer einzelnen Quelle – einem Stipendium oder einem Mäzen angewiesen sind. Die klassische Literaturkritik siedelt sich dabei auf der Dante-Seite an und blickt mit einer Mischung aus Irritation und Geringschätzung auf den in ihren Augen kommerziellen Teil der Literaturproduktion.

Interessant finde ich an dieser Darstellung Stephenson, dass er die oftmals dargestellte Unterscheidung von „freien und kreativen Künstlern“ auf der einen Seite und „an den Markt gefesselten Gefälligkeitsschreibern“ auf den Kopf stellt:

If you are trying to become a writer by taking expensive classes in that subject, you want your teacher to know more about it than you and to behave like a teacher. And so you might hear advice along the lines of „I don’t think you’re ready to tackle Y yet, you need to spend a few more years honing your skills with X“ and the like. All perfectly reasonable. But people on the Beowulf side may never have taken a writing class in their life. They just tend to lunge at whatever looks interesting to them, write whatever they please, and let the chips fall where they may.

Für Stephenson sind  Beowulf-Autoren die freien Schreiber, welche sich genau den Themen widmen können, die sie interessieren. Sie müssen sich nicht an akademischen Konventionen orientieren, sondern sich „lediglich“ ein Publikum erarbeiten, dass bereit ist, für ihre Arbeit zu bezahlen. Dante-Autoren hingegen sind im klassisch-akademischen Kulturbetrieb gefangen und auf einige wenige Geldquellen angewiesen, denen sie gefallen müssen. Sie schreiben nicht in erster Linie für ein Publikum, sondern eben genau für das System, in dem sie sich bewegen.

Vielleicht stellen leser-finanzierte Angebote wie Krautreporter einen Versuch dar, auch im Bereich des Journalismus einen Raum für Beowulf-Journalisten zu schaffen, in dem diese für ihre Arbeit ein Publikum finden können, das dann auch bereit ist, eine finanzielle Gegenleistung zu erbringen. Wünschenswert wäre es auf jeden Fall.

P.S. Das Interview mit Neal Stepehenson findet sich auch in seinem Essay-Band Some Remarks, den ich bisher zwar nur zum Teil gelesen habe, aber jetzt schon wärmstens weiter empfehlen kann.

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