Gott ist tot. Und jetzt?

Gott ist tot. Aber wie schaffen wir es, dass unsere Gesellschaft ohne den religiösen Kitt nicht in tausend Teile zerspringt? Ich mache mich in dieser Artikelreihe auf die Suche.

Wenn das Programm der Aufklärung die Verdrängung der Religion aus dem öffentlichen Leben war, ist ihr das am Anfang des 21. Jahrhunderts hervorragend gelungen. In Europa finden wir nur Reste des ehemaligen gesellschaftlichen und moralischen Zentrums unserer Welt. Aber niemand weiß, wie wir es schaffen, dass unsere Gesellschaft ohne den religiösen Kitt nicht in tausend Teile zerspringt. Ich mache mich in dieser Artikelreihe auf die Suche…

In Diskussionen – sei es privat, öffentlich oder wissenschaftlich – hat die religiöse Argumentation an Bedeutung verloren. Es wird nicht mehr akzeptiert, moralische Entscheidungen mit Bezug auf Gott zu begründen und bei wissenschaftlichen Argumenten ist der Versuch aus Prinzip zum Scheitern verurteilt. Religion hat ihre Autorität verloren und muss sich denselben Kriterien stellen wie Aussagen über entfernte Sterne oder Atomkerne.

Glaube gilt demnach nicht länger einfach so. Einst bot er eine stabile Struktur, in die der Einzelne sich einordnen konnte. Heute ist er eine private Entscheidung und fungiert nicht mehr als unhinterfragter Kitt, der Menschen zusammenhält und ihren Alltag rhythmisiert. Er ist jetzt eine „Meinung“, und die, die sich für gebildet und wissenschaftlich aufgeklärt halten, schauen abschätzig auf ihn herunter.

Was macht das mit der Gesellschaft?

Da ist in den letzten gut einhundert Jahren ein zentraler Anker der Gesellschaft weggebrochen; eine Säule, der es nicht um Effizienzgewinne ging, sondern um seelischen Beistand. Um Solidarität. Dennoch finden sich von säkularer Seite kaum fundierte Überlegungen, was das für unser Gemeinwesen bedeutet. Zumindest keine, die über das „gut, dass wir sie los sind“ und das unerschütterliche Vertrauen in die Vernunft des Einzelnen hinausgehen.

Die Verantwortung für das emotionale Wohl und die wechselseitige Unterstützung hat sich in das Reich des Einzelnen verschoben. Es gibt keine für alle automatisch verbindlichen Richtlinien mehr und jeder kann sich nach seiner Façon für Werte und eine eigene Moral entscheiden. Unterstützung erhält nur, wer sie aktiv sucht und der gerät schnell in ein Dickicht aus Krankheitsdiagnosen, kommerziellen Angeboten und fragwürdigen politischen Positionen.

Die Kirche strukturiert auch nicht länger das Zusammenleben in der Öffentlichkeit. Diese Funktion haben der Beruf und die Hobbys übernommen. Was auf den ersten Blick nach einer erfreulichen Entwicklung klingt, wirkt sich massiv auf den öffentlichen Diskurs aus und fördert die Zersplitterung der Gesellschaft. So bilden sich strenger getrennte Schichten, Milieus und Filterblasen heraus. Hierauf hat die säkulare Welt bislang keine Antwort gefunden.

Was mache ich mit dieser Frage?

In dieser Artikelreihe möchte ich mich diesen Entwicklungen und Problemen widmen. Ich werde schauen, was es so an interessanten Gedanken gibt, wie sich Elemente der Religion im Sinne einer säkularen Gesellschaft einsetzen lassen. Ziel ist es, unser privates Leben „besser“ und unser öffentliches Leben weniger fragmentiert zu gestalten. Es geht nicht um religiöse Glaubenssätze, sondern um gesellschaftliche Strukturen und Verhaltensmuster.

Ich setze mich dafür mit unterschiedlichen Fragen auseinander: Ist Gott ‚wahr‘? Warum ist Religion so wirkmächtig? Wie kann sich eine säkulare Gesellschaft die zugrunde liegenden Mechanismen zunutze machen? Wie könnte eine individualistische moralische Ordnung inhaltlich aussehen? Das Ganze ist für mich ein Work in Progress irgendwo zwischen intellektueller Neugier und der Suche nach meinem eigenen Weg. Die Reihe ist dementsprechend auch nicht abschließend geplant, sondern wird nach und nach erweitert, sobald ich auf interessante Gedanken stoße.

Den Anfang macht im nächsten Artikel der lauteste Atheist und britische Evolutionstheoretiker Richard Dawkins mit seinem Buch The God Delusion.

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