Gott hat nie existiert. Aber was heißt das?

Wir können wissenschaftlich nachweisen, dass es den personalen Gott der Tora, der Bibel und des Korans nicht gibt. Aber was bringt uns dieses "Wissen"?

Mit dem Aufkommen der wissenschaftlich-empirischen Methodik entstand die Erwartung, Behauptungen über die Welt nicht dem „Glauben“ zu überlassen. Es reichte also nicht länger, an die Existenz eines Gottes zu glauben, diese muss vielmehr „nachgewiesen“ werden und sich wissenschaftlicher Skepsis erwehren, die nur einen Geltungsanspruch zulässt: den empirischen Nachweis.

Der „Gotteswahn“ von Richard Dawkins

Diese Argumentation steht im Mittelpunkt des provokanten Buchs Der Gotteswahn (The God Delusion) des britischen Evolutionstheoretikers Richard Dawkins, der in den letzten Jahren mit seinem radikalen Atheismus für kontroverses Aufsehen gesorgt hat. Er weist nicht nur unermüdlich auf die wissenschaftliche Absurdität der Existenz Gottes hin, sondern fordert vehement die Abschaffung aller Religion. Wobei er dies in seinem Buch bequemerweise gleich auf den personalen monotheistisch-abrahamitischen Gott des Christentums, des Judentums und des Islam einschränkt.

Mit diesem Buch verfolgt Dawkins, nach eigener Aussage, drei Ziele: Er will den Atheismus als Überzeugung in der öffentlichen Debatte sichtbarer und akzeptierter machen. Dabei bezieht er sich in erster Linie auf die US-amerikanische Situation, in der ein Bekenntnis zum Atheismus zu einem großen Verlust an Ansehen und Anerkennung führt. Er will zudem denjenigen ein intellektuelles Fundament bieten, die an ihrer Religion zweifeln, sich aber noch nicht trauen, ihr zu entsagen:

My dream is that this book may help people to come out. Exactly as in the case of the gay movement, the more people come out, the easier it will be for others to join them.

Darüber hinaus will er aufzeigen, dass das atheistische Leben nicht unmoralisch und sinnentleert sein muss, sondern vielmehr erfüllt und wertvoll sein kann. Auch wenn ich ihm da inhaltlich nicht widersprechen will und kann, habe ich zu diesem Punkt in dem Buch leider keine Argumente gefunden, die sich nicht aus seiner persönlichen Faszination für die Wissenschaft speisen.

Auch was seine Argumentation zum empirischen Nachweis der Existenz Gottes angeht, widerspreche ich ihm nicht. Dawkins begreift die Existenz Gottes als wissenschaftliche Hypothese wie jede andere auch und kommt nach einer ausführlichen Sichtung der verfügbaren Indizien zu einem eindeutigen Schluss. Er weist auch auf interne Inkonsistenzen hin, die die Existenz eines Gottes – wie ihn zum Beispiel die Bibel vorsieht – schon logisch unmöglich machen.

Aber was bedeutet das?

Bis hierhin folge ich Dawkins. Doch wenn er zu den sozialen Konsequenzen der Religion kommt, wird seine Argumentation unzulässig einseitig und polemisch. Er schildert die sozialen Schattenseiten der Religion und sieht in ihr nicht nur den Grund für sämtliche Kriege, sondern auch das Ur-Übel der „selbst verschuldeten Unmündigkeit“ im Sinne Immanuel Kants. Er bezichtigt Religion der intellektuellen Faulheit und sieht in ihr die Ursache für das Bedürfnis der Menschen nach einfachen Erklärungen.

Paradoxerweise macht er damit genau den Fehler selbst, den er der Religion vorwirft: Er nimmt hochkomplexe Phänomene – wie Gewalt oder Unfreiheit – und führt sie auf eine einfache Ursache zurück. Er richtet sich sogar gegen abwägende Positionen wie die in diesem Artikel und schüttet damit das Kind mit dem Bade aus. Er wird so selbst zum Fundamentalisten, der sich sogar wissenschaftlichen Argumenten verschließt. Es sind halt in seinen Augen vermutlich „nur“ sozialwissenschaftliche oder psychologische.

Die eigentlich interessante Frage

Gleichzeitig wirft er aber in seinem Buch eine zentrale Frage auf, die sich genau mit solchen abwägenden Positionen beantworten ließe. Dabei geht es um den gesellschaftlichen Einfluss von Priestern und Predigern:

Why does our society beat a path to their door, as though they had some expertise comparable to that of, say, a moral philosopher, a family lawyer or a doctor?

Hierzu findet sich eine für mich überzeugende Antwort in einem anderen Buch, das genau das macht, was Dawkins so ablehnt: Es fragt danach, was man von der Religion lernen kann, auch wenn man nicht an ihre Aussagen zur Existenz Gottes glaubt: Religion für Atheisten von Alain de Botton.

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