Was Studierende über das Wissen denken [Vortragsnotizen]

Um wissenschaftlich schreiben zu können, müssen Studierende ein angemessenes Verständnis von "Wissen" haben. Wie kommen wir da hin?

Auch wenn es selten explizit gemacht wird, steht ein Begriff im Zentrum des Lebens an der Hochschule: „Wissen“. Deswegen widmeten sich Brigitte Römmer-Nossek, Frano P. Rismondo und Erika Unterpertinger von der Universität Wien der Frage, was Studierende eigentlich über das „Wissen“ denken und wie diese persönlichen Epistemologien in die Vermittlung wissenschaftlichen Denkens und Schreibens eingebunden werden können.

Ihrer Ansicht nach entstammt ein Großteil der Schwierigkeiten, die Studierende mit dem wissenschaftlichen Schreiben haben, aus einer grundsätzlichen Ungewissheit: Sie können ihre eigene Rolle nicht angemessen einschätzen und fallen daher auf ein bekanntes Rollenmuster zurück. Sie verstehen sich als passive Empfänger eines gegebenen Wissensschatzes, den sie dann in Prüfungen eins-zu-eins wiedergeben müssen.

Damit ist ein Verständnis von Wissen verbunden, das dieses als gegeben und fixiert voraussetzt. Übersehen wird dabei, dass Wissenschaft in erster Linie eine Diskussion darstellt, in der unterschiedliche Positionen um Akzeptanz ringen. Dieses andere Verständnis von Wissen wird Studierenden im Studium jedoch selten explizit vermittelt – gerade in „praxisnahen“ Studiengängen.

Vom einfachen zum komplexen „Wissen“

Die Entwicklung zu einer komplexeren „persönlichen Epistemologie“ hat William Perry schon 1970 in seinem Modell der intellektuellen und moralischen Entwicklung abgebildet. Er unterscheidet dabei zwischen vier unterschiedlichen Stufen:

  1. basic duality, bei der eine eindeutige Wahrheit erwartet wird, die es nur zu finden und zu vermitteln gilt,
  2. multiplicity, bei der unterschiedliche Positionen in einer Debatte vorhanden sind, in diesen Positionen jedoch eine eindeutige Wahrheit verborgen ist, die „nur“ gefunden werden muss,
  3. relativism, bei dem es keine eindeutige Wahrheit gibt und unterschiedliche Interpretationen und Argumente gleichberechtigt nebeneinander stehen, und schließlich
  4. commitment, bei dem es darum geht, als einzelner Akteur eine Entscheidung zu treffen, welchen Argumentationen man sich anschließt und welches „Wissen“ man seinem Handeln zugrunde legen will. Im Anschluss gilt es dann aber auch, die Verantwortung für diese Entscheidungen zu übernehmen und in der Lage zu sein, sie zu reflektieren und unter Umständen auch zu revidieren.

Für Perry ist der letzte Schritt entscheidend, aber gleichzeitig auch sehr schwer zu erreichen. Gerade in der Lehre an Hochschulen sollte es aber gerade unser Ziel sein, die Studierenden so weit es geht auf dem Weg durch diese Stufen zu begleiten. Aus der Schule kommen sie dann doch meist noch auf dem Niveau der basic duology.

Lehre muss wissenschaftliche Diskussion transparent machen

Für die Praxis heißt das, dass die Lehrenden an der Hochschule in hohem Maße in der Verantwortung stehen, die Studierenden zur Reflexion anzuleiten. Um dies zu erreichen, ist es wichtig, auch den eigenen Erkenntnisprozess offenzulegen. Dafür ist es nötig, die Wissenschaft als Diskurs und Diskussion für die Studierenden transparent zu machen und zu verdeutlichen, dass es ihre Aufgabe ist, sich eine eigene Position zu erarbeiten.

Eine Möglichkeit, dies in die Lehre einzubinden ist der Fokus auf die diskursive Dimension des Fachs. Es gilt also, mit den Studierenden unterschiedliche Positionen von Autor*innen herauszuarbeiten und deutlich zu markieren. Dazu sollten auch Dozierende ihre eigene Position darstellen und rechtfertigen, um den Studierenden ein entsprechendes Beispiel zu geben.

Konsequenterweise sollte in diesem Zusammenhang auch der Vermittlung der Wissenschaftstheorie eine zentralere Rolle zukommen – gerade in den quantitativen und „praxisnahen“ Fächern. Auf diese Weise würden die Studierenden in die Lage versetzt, nicht nur das „was“, sondern auch das „warum“ und das „wie“ ihrer Fächer zu verstehen und damit schlussendlich besser zu denken und zu schreiben.

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