Amanda Palmer über die Kunst des Fragens und den Sinn der Kunst

Eigentlich solltes es eines der einfachsten Dinge der Welt sein, andere Menschen um Hilfe zu bitten: die Nachbarn, wenn uns Mehl zum Backen fehlt, den Chef, wenn wir die spontane Hochzeit unseres besten Freundes besuchen wollen, oder die gute Freundin, wenn wir gerade ein wenig klamm sind, aber eine Autoreparatur ansteht. Der Frage, warum uns dies trotz einer guten Beziehung oder gar einer Freundschaft zu diesen Menschen oft so schwer fällt, geht die Musikerin Amanda Palmer in ihrer “thematischen Autobiographie” The Art of Asking nach.

Amanda Palmer hat es in den letzten Jahren zu einiger Bekanntheit gebracht. Die ehemalige Frontfrau der “Dresden Dolls”, die seit einiger Zeit “solo” mit ihrem Grand Theft Orchestra auftritt, ist dabei nicht nur wegen ihrer eigenwilligen lauten und bunten Musik bekannt geworden, sondern auch durch ihre 2012 gestartete Kickstarter-Kampagne für ihr Album Theatre Is Evil, mit der sie knapp 1,2 Millionen US-Dollar einwarb. Einen wesentlich Beitrag dazu dürften ihre offene Kommunikation auf ihrem Blog und bei Twitter (1 Million Follower) geleistet haben. Nach dieser Kampagne wurde sie eingeladen, ihre Erfahrungen und ihrem Umgang mit ihren Fans im Rahmen der Konferenz “Technology Entertainment und Design” – besser bekannt als TED – vorzustellen, woraus wiederum ihr Buch The Art of Asking entstand.

Hemmungen, um Hilfe zu bitten, entstammen der Angst, diese nicht zu verdienen

Dass es uns so schwer fällt, andere um Hilfe zu bitten oder angebotene Unterstützung anzunehmen, liegt für Palmer weniger in der Angst vor einem Nein begründet. Für sie sind es vielmehr die Zweifel, die wir an uns selbst und unserer Bitte haben:

Whether it’s in the arts, at work, or in our relationships, we often resist asking not only because we’re afraid of rejection but also because we don’t even think we deserve what we’re asking for. We have to truly believe in the validity of what we’re asking for — which can be incredibly hard work and requires a tightrope walk above the doom-valley of arrogance and entitlement. And even after finding that balance, how we ask, and how we receive the answer — allowing, even embracing, the no — is just as important as finding that feeling of valid-ness. (Pos. 275)

Gerade für Künstler und andere kreative Berufe spielt dabei das sogenannte “Hochstapler-Syndrom” eine zentrale Rolle: Man handelt zwar wie ein Künstler oder ein Kreativer und identifiziert sich auch als solcher, ist aber von der unstillbaren Angst erfüllt, jederzeit als Hochstapler entlarvt werden zu können. Amanda Palmer nennt dies die Angst vor der “Fraud Police”:

We’ve been watching you, and we have evidence that you have NO IDEA WHAT YOU’RE DOING. You stand accused of the crime of completely winging it, you are guilty of making shit up as you go along, you do not actually deserve your job, we are taking everything away and we are TELLING EVERYBODY. (Pos. 711)

Diese Angst vor dem Auffliegen ist jedoch universell. Es ist nicht so, dass nur wir uns so fühlen, während andere ohne Selbstzweifel und voller Selbstbewusstsein ihrer Kunst nachgehen – selbst wenn dies nach außen hin so aussehen mag. Für Palmer liegt in dieser Erkenntnis sogar der zentrale Unterschied zwischen Amateuren und Profis:

In both the art and the business worlds, the difference between the amateurs and the professionals is simple: The professionals know they’re winging it. The amateurs pretend they’re not. (Pos. 729)

Künstler schaffen menschliche Verbindungen und wecken Emotionen

Amanda Palmer: The Art of Asking
Amanda Palmer: The Art of Asking

Viele Künstler haben ein Problem damit, für ihre Arbeit Geld zu nehmen. Sie sind der Überzeugung, sie seien es nicht Wert, für ihre Kunst bezahlt zu werden. Es fällt ihnen entsprechend schwer, sich selbst zu vermarkten oder das Publikum um Spenden zu bitten. Amanda Palmer sieht dies grundsätzlich anders und erinnert daran, was in ihren Augen die originäre Rolle von Künstlern und Kunst ist: die Herstellung menschlicher Verbindung und das Wecken von Emotionen. Dies ist für sie das “Produkt”, das Künstler verkaufen und für das sie sich ohne schlechtes Gewissen bezahlen lassen können – in der einen Form oder der anderen.

Palmer versteht dabei ihr eigenes Vorgehen als einen Austausch von Geschenken und Hilfe. Für sie steht die Verbindung, die sie zu ihren Fans aufbaut, im Mittelpunkt. Dieser Verbindung muss sich alles unterordnen – eine Beobachtung, die sie in ihrer Zeit als lebende Statue gemacht hat. Dabei geht es darum, einen kurzen oder auch längeren Moment der menschlichen Verbindung zu schaffen, in dem sich der Andere gesehen und wahrgenommen fühlt:

There’s a difference between wanting to be looked at and wanting to be seen. When you are looked at, your eyes can stay blissfully closed. You suck energy, you steal the spotlight. When you are seen, your eyes must be open, as you are seeing and recognizing your witness. You accept energy and you generate energy. You create light. One is exhibitionism, the other is connection. Not everybody wants to be looked at. Everybody wants to be seen. (Pos. 3128)

Diese grundlegende Befriedigung, gesehen (nicht angeschaut!) zu werden, ist ihr Angebot an das Publikum. Dazu twittert sie offenherzig über ihren Alltag, reagiert auf Anfragen ihrer Fans und bindet diese ebenso wie lokale Künstler auf unterschiedliche Weise in ihre Karriere ein. Auf Tour übernachten sie und ihre Band oft bei Fans auf der Couch, sie bittet bei ihnen um Essen nach dem Auftritt und mischt sich dafür so lange es geht unter ihr Publikum. Ein ungewöhnlicher Ansatz – für sie jedoch vermutlich der einzig richtige.

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