Kollektives Denken braucht Sprache

Während mir die Darstel­lun­gen von Erik Hoel zur intrin­sis­chen Per­spek­tive dur­chaus plau­si­bel erscheinen, klin­gen sie doch auch sehr nach der mit­tler­weile wider­legten Sapir-Whorf-Hypothese, dass wir nur die Dinge denken und fühlen kön­nen, für die wir auch eine Sprache haben. Eine Lösung für diesen Wider­spruch kön­nte darin zu find­en sein, zwis­chen einem indi­vidu­ellen Denken und einem kollek­tiv­en oder zumin­d­est exter­nal­isierten Denken zu unter­schei­den.

Sapir-Whorf kann meines Ver­ständ­niss­es nach auf der indi­vidu­ellen Ebene als wider­legt gel­ten, für einen gewichti­gen Aspekt des Denkens braucht es jedoch eine Exter­nal­isierung von Gedanken und Gefühlen, damit sie anderen zugänglich gemacht wer­den kön­nen – und die wichtig­ste dieser For­men ist nun mal die Sprache.

Das gilt zum einen für das Denken mit Werkzeu­gen, das wie Andy Clark her­ausar­beit­et, schon lange eine zen­trale Rolle spielt. Nur wenn wir interne men­tale Zustände in Begriffe oder zumin­d­est Sym­bole oder andere „Äußerun­gen“ fassen kön­nen, sind sie dem Denken mit Werkzeu­gen zugänglich, das uns eine andere Dimen­sion der kog­ni­tiv­en Ver­ar­beitung eröffnet. Je präzis­er das entsprechende Sym­bol dabei ist, desto sys­tem­a­tis­ch­er und uni­verseller kann es für weit­ere Denkprozesse genutzt wer­den.

Noch rel­e­van­ter ist in meinen Augen allerd­ings das „soziale“ Denken und die Entwick­lung von „Kul­tur“ im weitesten Sinne. Hier haben z. B. Höh­len­malereien oder mündlich über­lieferte Geschicht­en in der Form von Ereignis­bericht­en einen wichti­gen Anfang gemacht. Sie kon­nten jedoch emo­tionalen Gehalt nicht unmit­tel­bar über­mit­teln, son­dern nur ver­suchen, im Gegenüber eine analoge Reak­tion auszulösen. Bei Men­schen, die über lange Zeit eng beieinan­der lebten, mochte dies aus­re­ichen, je kom­plex­er und dif­feren­ziert­er die Leben­sum­stände wur­den, desto vielfältiger wur­den auch die men­tal­en oder emo­tionalen Zustände, die mit ein­er konkreten Sit­u­a­tion ver­bun­den wer­den. Und so braucht es Sym­bole als Inter­mediäre, die eine Kom­mu­nika­tion erlauben wie: „Wenn ich einen Bären sehe, habe ich das­selbe Gefühl, das du hast, wenn du ein Unwet­ter dräuen siehst“.

Nur dann kann sich ein gemein­sames Ver­ständ­nis von Emo­tio­nen entwick­eln und eine dif­feren­zierte „interne Per­spek­tive“, wie wir sie heute ken­nen, aus­bilden. Es entste­ht ein Vok­ab­u­lar, auf das alle Men­schen ein­er Sprachge­mein­schaft zurück­greifen kön­nen und das es ihnen erlaubt, innere Prozesse und Zustände expliz­it zu machen und sozial zu ver­han­deln – sei es in inten­siv­en Zwiege­sprächen oder auf öffentlichen Foren. Vor diesem Hin­ter­grund wäre es wenig über­raschend, wenn die lit­er­arische Form des Romans hier wichtige Entwick­lung­shil­fe geleis­tet hätte.

Quellen

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