Wissenschaft basiert nicht auf zwingender Logik, sondern auf verlässlichen Vorhersagen

Die all­ge­mein akzep­tierte Erzäh­lung über die wis­senschaftliche Meth­ode geht immer noch davon aus, dass das durch sie gewonnenes Wis­sen in irgen­dein­er Form zwangsläu­fig oder logisch notwendig sei; dass es gar nicht anders sein könne. Doch der Blick auf die tat­säch­liche wis­senschaftliche Forschung zeigt, dass dies keines­falls der Fall ist: Hier wer­den nur sel­ten zwin­gende logis­che Schlussfol­gerun­gen gezo­gen oder for­male Beweise geführt, wie man sie vielle­icht aus dem Math­e­matikun­ter­richt der Ober­stufe ken­nt. Im Gegen­teil ist sog­ar hoch-umstrit­ten, ob solche Aus­sagen über­haupt möglich sind.

Stattdessen ist der große Teil der aktuellen (Natur-)Wissenschaft streng empirisch aus­gerichtet: Auf der Grund­lage des beste­hen­den Wis­sens wer­den Ver­mu­tun­gen angestellt, wie sich eine offene Frage beant­worten lassen kön­nte – es wer­den also Hypothe­sen for­muliert. Dies kön­nen im Anschluss dann empirisch getestet wer­den. Und zwar auf eine sehr spez­i­fis­che Weise: Aus der Hypothese wer­den Vorher­sagen abgeleit­et, die sich ergeben müssten, wenn die Hypothese wahr ist. Dann wird im Rah­men eines geeigneten Exper­i­ments über­prüft, ob diese Vorher­sagen ein­tr­e­f­fen. Das ist natür­lich beson­ders dann aus­sagekräftig, wenn die Vorher­sagen über­raschend sind oder mit bish­erigem Wis­sen nur schw­er zu vere­in­baren. Solche empirischen Tests sind der Maßstab wis­senschaftlich­er Erken­nt­nis, nichts anderes – keine Logik, keine Math­e­matik und erst recht keine inhaltlich nachvol­lziehbare Erk­lärung. Das führt mich wieder zu dem Punkt, dass im Zen­trum der wis­senschaftlichen Meth­ode das Ziel der Kon­trolle über die Welt ste­ht.

Eine beson­dere Rolle kommt dabei präzisen und zuver­läs­si­gen Mes­sun­gen zu, die das Ein­tr­e­f­fen der for­mulierten Vorher­sagen über­prüfen kön­nen. Dabei muss ins­beson­dere sichergestellt sein, dass tat­säch­lich genau das gemessen wird, was die Forschen­den messen wollen, und dass Stör­ef­fek­te die Mes­sun­gen nicht ver­fälschen. Am Ende geht es aber nie um Per­fek­tion, son­dern um das „gut genug“ und „oft genug wieder­holt“, das schließlich dazu führt, dass sich ein „wis­senschaftlich­er Kon­sens“ etablieren kann.

Auf diese Weise kön­nen The­o­rien und Mod­elle entwick­elt wer­den, die gut genug und ver­lässlich genug sind, um sie zur Grund­lage tech­nol­o­gis­ch­er Entwick­lung oder auch poli­tis­ch­er Entschei­dun­gen herange­zo­gen wer­den kön­nen. Sie sind jedoch immer poten­tiell fehler­haft und manch­mal auch inhaltlich unver­standen: Ger­ade im Bere­ich der Quan­ten­mechanik kann die Physik sehr genau berech­nen, was passieren wird, intu­itive Erk­lärun­gen, wie diese Resul­tate her­vorge­bracht wer­den, gibt es jedoch nicht. Im Gegen­teil, die berech­neten und beobachteten Ergeb­nisse wider­sprechen zahlre­ichen Grun­dregeln, die wir intu­itiv als gegeben annehmen.

Auch hier zeigt sich wieder, dass unsere mod­erne wis­senschaftliche Denkweise keineswegs zwangsläu­fig sein muss, son­dern in eine kom­plexe Ideengeschichte einge­bet­tet ist. Im Gegen­satz zu europäis­chen Denksys­te­men wie eben der for­malen Logik, dem Ratio­nal­is­mus oder dem Empiris­mus, basiert sie heutzu­tage in erster Lin­ie auf dem US-amerikanisch geprägten Prag­ma­tismus, der nicht die eine Wahrheit ken­nt, son­dern die Kon­se­quen­zen von Ideen und The­o­rien in den Mit­telpunkt rückt, und der „Wahrheit“ zu ein­er Frage des Kon­sens­es macht. (vgl. How the World Thinks von Julian Bag­gi­ni)

In der Wis­senschaft erlaubt dieser Wech­sel der Per­spek­tive einen rasenden Fortschritt und die stetige Inter­ak­tion zwis­chen Grund­la­gen­forschung und tech­nol­o­gis­ch­er Entwick­lung. Let­zter­er reicht das „gut genug“, solange es empirisch abgesichert ist. In der Poli­tik erleben wir jedoch ger­ade seine Schat­ten­seit­en, wenn er sich immer mehr von den beobacht­baren Fak­ten als zen­trales Kri­teri­um für das Entste­hen eines Kon­sens­es ent­fer­nt.

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