Wir müssen lernen, ohne Arbeit zu leben

Die Lohnar­beit ste­ht seit Jahrzehn­ten im Mit­telpunkt unser­er Gesellschaft. Sie dient uns nicht nur dazu, unseren Leben­sun­ter­halt zu bestre­it­en, sie ist auch eines der weni­gen Ele­mente, das unsere Gesellschaft aus Indi­viduen über­haupt noch zusam­men­hält. So schreibt There­sa Bück­er in ihrem Buch Alle_Zeit:

In unser­er Gesellschaft ist es derzeit am ein­fach­sten, über eine Beruf­stätigkeit länger­fristig gesund und zufrieden zu bleiben, da sich vor allem inner­halb der Arbeitswelt Struk­turen her­aus­ge­bildet haben, die wichtige psy­chis­che Bedürfnisse erfüllen.

In eine ähn­liche Rich­tung argu­men­tiert Daniel Strass­berg, wenn er schreibt:

Arbeit war für lange Zeit die stärk­ste von Grup­pen unab­hängige identitäts­stiftende Kraft unser­er Gesellschaft. Die Angst, die Arbeits­stelle zu ver­lieren, ist somit nicht nur die Angst, kein Einkom­men mehr zu haben, son­dern damit gle­ich auch die Iden­tität zu ver­lieren

Was passiert nun aber, wenn auch die Arbeit diese Funk­tion ver­liert – ins­beson­dere weil sie nicht mehr in das pos­i­tive Ver­sprechen ein­er besseren Zukun­ft für uns und unsere Kinder einge­bet­tet ist, son­dern in erster Lin­ie mit der Angst behaftet, den ohne­hin bere­its frag­ilen Boden unter den Füßen zu ver­lieren? Damit ist eben nicht länger „nur“ unser Lebensin­halt bedro­ht, son­dern auch unsere Iden­tität und unser gesamtes Selb­st.

Neben allen berechtigten Forderun­gen an die Wirtschafts- und Sozialpoli­tik, die sich daraus ergeben, dass Arbeit immer weniger aus­re­icht, den eige­nen Lebens­stan­dard zu erhal­ten oder gar zu verbessern, soll­ten sich daraus auch Forderun­gen an die Gesellschafts- und die Bil­dungspoli­tik ergeben. So schreibt Strass­berg:

Eigentlich müsste die Gesellschaft in der heuti­gen Lage junge Men­schen auf ein Leben ohne Arbeit vor­bere­it­en. Lehrt um Him­mels willen unnützes Zeugs, Gedichte zum Beispiel! Lernt doch mehr Dinge, die ihr nicht brauchen kön­nt!

Auf diese Weise ergeben sich neue Möglichkeit­en, die eigene Iden­tität zu gestal­ten, die nicht im sel­ben Maße abhängig sind, seine Arbeit­skraft erfol­gre­ich auf einem Arbeits„markt“ anbi­eten zu kön­nen. Das kön­nen wir Men­schen näm­lich nicht ein­fach so. Wir müssen es in ein­er durch-indi­vid­u­al­isierten Gesellschaft (neu?) ler­nen. Dafür wiederum müssten wir uns aber eine Welt neben oder gar ohne den Kap­i­tal­is­mus vorstellen kön­nen. Und damit tun wir uns ja bekan­ntlich sehr schw­er.

Quellen

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