Die Arbeitsteilung zwischen bewusstem und unbewusstem Denken

Optis­che Täuschun­gen oder der auf Autopi­lot gefahrene tägliche Weg zur Arbeit sind nur zwei der zahlre­ichen Phänomene, die uns zeigen, dass wir selb­st kom­plexe Hand­lun­gen oft durch­führen, ohne uns ihrer bewusst zu sein. Es muss also unter­halb unseres aktiv­en Bewusst­seins Prozesse geben, die dafür sor­gen, dass wir die richtige Abzwei­gung nehmen, eine Geschwindigkeits­be­gren­zung erken­nen oder auch nur die Gänge wech­seln. Doch welche Rolle spielt dann eigentlich noch unser Bewusst­sein?

Das Wech­sel­spiel zwis­chen unter­be­wusster Wahrnehmung und dem Bewusst­sein ste­ht neben den neu­ronalen Sig­na­turen des Bewusst­seins im Mit­telpunkt des Buchs Denken. Wie das Gehirn Bewusst­sein schafft des Neu­rowis­senschaftlers Stanis­las Dehaene. Dabei entwick­elt er eine The­o­rie, die das Bewusst­sein als über­greifend­en Spe­ich­er ver­ste­ht, der Infor­ma­tio­nen für unter­schiedliche unbe­wusste Ver­ar­beitung­sprozesse bere­it­stellt.

Zwischen unbewusster Fleißarbeit und bewusster Entscheidung

![Stan­sis­las Dehaene: Denken. Wie das Gehirn Bewusst­sein schafft (Knaus 2014, ISBN: 978–3813504200)](http://nilsmueller.info/wp-content/uploads/2015/06/dehaene_denken.jpg)
Stan­sis­las Dehaene: [Denken. Wie das Gehirn Bewusst­sein schafft](http://www.amazon.de/Denken-Wie-Gehirn-Bewusstsein-schafft/dp/3813504204/?tag=diekritisches-21) (Knaus 2014, ISBN: 978–3813504200)

Dehaene, der sich aus­führlich mit dem Unter­schied zwis­chen bewussten und unbe­wussten kog­ni­tiv­en Prozessen auseinan­der­set­zt, referiert aus­führlich die zahlre­ichen Stu­di­en, die aufzeigen, dass ein großer Teil unser­er Wahrnehmung unter­be­wusst abläuft. Dabei geht es nicht nur um das Aus­blenden neben­säch­lich­er Reize oder das Zusam­menset­zen unser­er sinnlichen Wahrnehmung in ein kohärentes Bild, das uns dann präsen­tiert wird.

Auch die Zuweisung von Bedeu­tung und ein­fache logis­che Schlussfol­gerun­gen kön­nen ohne einen bewussten Zugriff erfol­gen. So sind Ver­suchsper­so­n­en in der Lage einzuschätzen, ob eine Zahl, die ihnen nur wenige Mil­lisekun­den gezeigt wurde und die sie nicht bewusst wahrnehmen kon­nten, klein­er oder größer ist als Fünf.

Das Resul­tat all dieser Exper­i­mente ist ein­deutig: Unser Gehim beherbergt eine Samm­lung schlauer unbe­wusster Vor­rich­tun­gen, welche die uns umgebende Welt ständig überwachen und ihr Werte zuord­nen, unsere Aufmerk­samkeit lenken und unser Denken for­men. Dank dieser unter­schwelli­gen Markierun­gen wer­den die amor­phen Reize, die uns bom­bardieren, zu ein­er Land­schaft der Gele­gen­heit­en, die sorgfältig nach ihrer Rel­e­vanz für unseren aktuellen Ziele geord­net sind. (S. 116)

Es ist also nicht so, dass das Unter­be­wusst­sein nur für Prozesse zuständig ist, die grundle­gende Wahrnehmungs- oder Über­lebens-Funk­tio­nen sich­er­stellen. Es ist auch zen­tral an höheren kog­ni­tiv­en Prozessen beteiligt, die uns helfen, die Welt um uns herum zu ver­ste­hen und ihr einen Sinn abzugewin­nen. Diese unter­be­wussten Prozesse sind jedoch hoch-spezial­isiert und nicht in der Lage strate­gis­che Prozesse aus mehreren Inter­pre­ta­tion­ss­chrit­ten durchzuführen. Hierzu ist ein bewusster Geist notwendig.

Das mächtige Unbe­wusste erzeugt kom­plexe Ahnun­gen, doch nur ein bewusster Geist kann Schritt für Schritt eine ratio­nale Strate­gie ver­fol­gen. Indem es als Router fungiert, der Infor­ma­tio­nen in jede beliebige Serie aufeinan­der­fol­gen­der Prozesse ein­speist, scheint das Bewusst­sein uns Zugang zu einem völ­lig neuen Betrieb­smodus zu ver­schaf­fen – der Tur­ing­mas­chine des Gehirns. (S. 159)

So schildert Dehaene, dass der oben vorgestellte Ver­gle­ich zwis­chen zwei Zahlen nicht mehr unbe­wusst ablaufen kann, sobald zu der angezeigten Zahl die Drei addiert wer­den soll. Hier sind zwei aufeinan­der­fol­gende Schritte notwendig – die Addi­tion und der Ver­gle­ich – die einzeln dur­chaus unbe­wusst ablaufen kön­nen, zu deren Verknüp­fung jedoch ein bewusster Akt notwendig ist.

Das Bewusstsein als universell verfügbarer Arbeitsspeicher

memory

Auf dieser Grund­lage und dem Nach­weis spez­i­fis­ch­er neu­ronaler Sig­na­turen leit­et Dehaene seine The­o­rie des Bewusst­seins als uni­versell ver­füg­bar­er Arbeitsspe­ich­er ab. Für ihn übern­immt das Bewusst­sein dem­nach in erster Lin­ie die Funk­tion, bei ein­er spez­i­fis­chen Frage die ver­füg­baren Infor­ma­tio­nen strate­gisch in die zahlre­ichen unter­be­wussten Ver­ar­beitung­sprozesse einzus­peisen und die Ergeb­nisse weit­er zu ver­mit­teln:

Bewusst­sein ist eine entwick­elte Vor­rich­tung, die es uns ermöglicht, eine Infor­ma­tion aufzu­greifen und dafür zu sor­gen, dass sie inner­halb dieses Über­tra­gungssys­tems wirk­sam bleibt. (S. 233)

Das Bewusst­sein lässt sich dementsprechend mit der Zwis­chen­ablage des Com­put­ers ver­gle­ichen, in der Infor­ma­tio­nen abgelegt und anderen Pro­gram­men zugänglich gemacht wer­den kön­nen. Es fungiert als Koor­di­na­tion­szen­trale unseres Gehirns, die die Resul­tate unter­be­wusster Prozesse auf­greift. Dabei ver­fol­gt es einen konkreten Plan, der der Lösung eines spez­i­fis­chen kom­plex­en Prob­lems dient:

Wenn wir sagen, wir seien uns ein­er bes­timmten Infor­ma­tion bewusst, meinen wir damit ein­fach Fol­gen­des: Die Infor­ma­tion ist in ein spez­i­fis­ches Spe­icher­areal einge­treten, das sie für den Rest des Gehirns ver­füg­bar macht. (S. 236)

Diese The­o­rie eröffnet nicht nur der Neu­rowis­senschaft neue Herange­hensweisen, son­dern verän­dert auch unsere Sicht auf Bewusst­sein­szustände wie das Koma oder das Locked-In-Syn­drom, bei dem sich durch den Ein­satz bildgeben­der Ver­fahren ganz neue Unter­suchungsmöglichkeit­en ergeben. Sog­ar die Kom­mu­nika­tion mit Patien­ten, die kein­er­lei bewusste Kon­trolle über ihren Kör­p­er haben scheint auf diese Weise möglich.

Quellen

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