Bestie oder Virus? Wie die Sprache unser Denken prägt

Die alljährliche Diskus­sion um das „Unwort des Jahres“ macht deut­lich, dass Sprache mehr ist als ein neu­trales Werkzeug, mit dem wir Infor­ma­tio­nen von ein­er Per­son zur näch­sten über­tra­gen. Vielmehr ist die Sprache ganz eng mit unserem Denken und unserem Han­deln verknüpft. Ob jedoch die Sprache Voraus­set­zung für das Denken und wie stark sie unsere Sicht auf die Welt prägt, ist nach wie vor umstrit­ten.

In ihrem Buch Das Alpha­bet des Denkens – Wie Sprache unsere Gedanken und Gefüh­le prägt set­zen sich die bei­den ZEIT(Wissen) ‑Jour­nal­istin­nen Ste­fanie Schramm und Clau­dia Wüsten­hagen mit der aktuellen Forschung in diesem Gebi­et auseinan­der. Dabei gehen sie in ihrer Darstel­lung von dem grundle­gen­den the­o­retis­chen Kon­flikt der Lin­guis­tik aus, dem Gegen­satz zwis­chen „Uni­ver­sal­is­ten“ und „Rel­a­tivis­ten“:

Die Uni­ver­sal­is­ten meinen, dass allen Men­schen das­selbe Sprachver­mö­gen und diesel­ben uni­versellen Grun­dregeln der Sprache ange­boren seien. Zudem ver­fügten alle Men­schen von Geburt an über ein und dieselbe «Sprache der Gedanken»: Men­talese oder Men­tale­sisch […] Daraus fol­gern die Vertreter dieser The­o­rie, dass die natür­liche Sprache keinen Ein­fluss auf das Denken hat. Dem wider­sprechen die Rel­a­tivis­ten aufs heftig­ste: Sie sind überzeugt, dass wir in natür­lichen Sprachen denken und dass diese unser Denken prä­gen. Die natür­lichen Sprachen wiederum bilde­ten die Welt nicht auf ein und dieselbe Weise ab, sie sind nicht uni­versell, son­dern rel­a­tiv. Fol­glich dächt­en Men­schen in ver­schiede­nen Sprachen bis zu einem gewis­sen Grad unter­schiedlich; unsere Welt­sicht hänge damit auch von der Sprache ab, die wir sprechen. (S. 53)

Aus­gangspunkt dieses Kon­flik­ts war die soge­nan­nte Sapir-Whorf-Hypothese, die im Kern davon aus­ge­ht, dass die Sprache, die Men­schen sprechen, ihr Denken in hohem Maße forme. Ins­beson­dere for­muliert sie, dass bes­timmte Phänomene nur dann gedacht wer­den kön­nen, wenn es für sie einen sprach­lichen Aus­druck gibt. Dieser Hypothese stell­ten sich jedoch Autoren wie Noam Chom­sky oder Steven Pinker ent­ge­gen – unter­stützt von zahlre­ichen empirischen Erken­nt­nis­sen, die aufzeigen, dass dieser Zusam­men­hang wesentlich schwäch­er ist, als zu Beginn angenom­men.

Die Macht der Sprache – ob nun relativistisch oder universalistisch

Der Kon­flikt zwis­chen Uni­ver­sal­is­ten oder der Rel­a­tivis­ten ist jedoch in erster Lin­ie the­o­retis­ch­er Natur. In der aktuellen empirischen Forschung sind die Ergeb­nisse insoweit ein­deutig, als dass sich ein Zusam­men­hang zwis­chen der Sprache und dem Denken der Men­schen ein­deutig kon­sta­tieren lässt. Dabei deuten die Resul­tate auf eine gemäßigt-rel­a­tivis­tis­che Posi­tion hin:

Sprache ist kein Gefäng­nis, sie deter­miniert nicht das Denken […]. Doch sie lenkt die Aufmerk­samkeit in bes­timmte Rich­tun­gen. Mal mehr, mal weniger sub­til. (S. 177–178)

Dabei wird ins­beson­dere deut­lich, dass die Sprache neben der reinen Bere­it­stel­lung von Konzepten und Begrif­f­en eine weit­ere zen­trale Funk­tion in unserem Denken übern­immt: das Aus­lösen von Erin­nerun­gen, Emo­tio­nen und entwick­el­ten Denkmustern:

Denn die Mut­ter­sprache ent­fal­tet ganz unab­hängig von ihren Farbbe­grif­f­en, Ori­en­tierungs­maßen, Zeit­for­men oder gram­ma­tis­chen Geschlechtern ihre Macht. Jen­seits von Gram­matik und Seman­tik legt sie einen emo­tionalen Res­o­nanzraum in uns an, ver­wurzelt sich in unseren Gefühlen. Sie ist die Sprache, mit der wir aufgewach­sen sind, deren Klang wir von der ersten Lebens­minute an hörten. Ihre Worte halfen uns, uns die Welt zu erschließen und eine Iden­tität zu find­en. Es ist diejenige Sprache, in der die Eltern mit uns schimpften und Trost spende­ten. Kein «I love You» oder «Je t’aime» kann uns das «Ich liebe dich» erset­zen. Keine Schimpfwörter tre­f­fen uns so hart wie jene unser­er Mut­ter­sprache. (S. 175)

Hier wird beson­ders deut­lich, dass Sprache nicht nur ein ratio­nales Werkzeug zum Ver­ste­hen von Zusam­men­hän­gen und zur Über­tra­gung von Infor­ma­tion darstellt, son­dern eben auch ein emo­tionales Aus­drucksmit­tel. Im Laufe unseres Lebens – und ins­beson­dere in unser­er Kind­heit – haben wir gel­ernt mit Begrif­f­en Emo­tio­nen zu verbinden. Wir haben erfahren, wie unser Umfeld auf unter­schiedliche For­mulierun­gen reagiert und ver­mit­telt bekom­men, welche Aus­drücke in welch­er Sit­u­a­tion angemessen oder unangemessen sind. Kom­mu­nika­tion via Sprache ist dem­nach ein kom­plex­er sozialer Prozess, der von den Beteiligten eben­so bes­timmt wird, wie von ihrem Kon­text. Die „Wahrheit“ liegt hier anscheinend – wie so oft – in der Mitte; irgend­wo zwis­chen Nature und Nur­ture (s. dazu auch Der tiefe Graben zwis­chen Wis­senschaft und Gesellschaft).

Sprache als Werkzeug zur Manipulation und Datensammlung

Wenn Sprache bes­timmte Emo­tio­nen her­vor­rufen und Denkweisen aus­lösen kann, wird sie zum inter­es­san­ten Werkzeug für diejeni­gen, die andere dazu brin­gen wollen, bes­timmte Dinge zu denken oder zu tun. Die Autorin­nen stellen mehrere Beispiele von Unter­suchun­gen vor, die aufzeigen, wie sich durch die Nutzung bes­timmter Begriffe die Reak­tio­nen auf anson­sten iden­tis­che Sachver­halte unter­schei­den. Beson­dern ein­drucksvoll ist dabei die Wahl von bes­timmten Meta­phern. So unter­schei­den sich die von den Proban­den vorgeschla­ge­nen Lösun­gen für eine hohe Krim­i­nal­ität­srate je nach­dem, ob der anson­sten iden­tis­che ein­führende Text die Krim­i­nal­ität mit mit ein­er „Bestie“ oder einem „Virus“ ver­gle­icht. Das macht Meta­phern zu einem beson­ders geeigneten und unauf­fäl­li­gen Manip­u­la­tion­s­mit­tel:

[…] Sprach­bilder haben eine Tücke: Wer in den assozia­tiv­en Fäden eines Meta­phern­net­zes hängt, kann sich nur schw­er wieder davon lösen. Die Gedankengänge und Schlussfol­gerun­gen sind dann gebun­den an die Bilder, die die Meta­phern im Kopf erzeu­gen (S. 218)

Es verdicht­en sich mit­tler­weile sog­ar die Hin­weise, dass wir bei der Wahrnehmung von Sprache schon einzel­nen Phone­men – also kleinen Lautein­heit­en – bes­timmte Bedeu­tun­gen zuschreiben. Während das „i“ beispiel­sweise als klein wahrgenom­men wird, ste­ht das „o“ eher für groß. Solche Zuschrei­bun­gen laufen höchst unbe­wusst ab, lassen sich aber in unter­schiedlichen Unter­suchun­gen kon­sis­tent nach­weisen.

Doch Sprache kann nicht nur zur Manip­u­la­tion genutzt wer­den. Sie ermöglicht es auch, zen­trale Infor­ma­tio­nen über uns zu erheben. So stellen die Autorin­nen die Arbeit von James Pen­nebak­er zu Pronomen vor:

In den kleinen, unschein­baren Funk­tion­swörtern liegt also eine Menge ver­bor­gen: Hin­weise auf unsere Per­son – Geschlecht, Alter, sozialer Sta­tus – und auf unsere Per­sön­lichkeit, ja sog­ar Indizien dafür, ob wir lügen und wen wir lieben. Doch weil wir sie meist unbe­wusst benutzen und ver­ar­beit­en, brauchen wir Com­put­er­pro­gramme, um ihre Botschaft zu entschlüs­seln. (S. 208)

Schramm und Wüsten­hagen zeigen in ihrem Buch auf, dass unsere Sprache auf vielfältige Weise mit unserem Denken ver­bun­den ist. Ob sie es nun wirk­lich deter­miniert ist dabei rel­a­tiv egal, wenn empirische Unter­suchun­gen zeigen, dass sie gezielt genutzt wer­den kann um Deu­tun­gen vorzugeben und durch sta­tis­tis­che Analy­sen auch Infor­ma­tio­nen über uns als Per­son ver­mit­telt. Doch eine emo­tion­slose, objek­tive Sprache ist wed­er möglich noch wäre sie wün­schenswert.

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