Das Hirn reagiert nicht, es denkt voraus

Es gibt ein klas­sis­ches Bild von unser­er Wahrnehmung: Danach lösen Impulse von Außen in unseren Sin­nesor­ga­nen – also z. B. Augen oder Ohren – bes­timmte Sig­nale aus, die dann an das Gehirn weit­ergeleit­et und dort ver­ar­beit­et wer­den. Ein bes­timmtes Muster wird dann dort inter­pretiert und zum Beispiel als Hund oder als Musik inter­pretiert.

In ihrem Buch „Wie Gefüh­le entste­hen“ beschreibt die Neu­rowis­senschaft­lerin Lisa Feld­man Bar­rett jedoch einen kom­plex­eren Prozess, bei dem unserem Gehirn eine wesentlich akti­vere Rolle zukommt. Ihr zufolge nehmen wir nicht ein­fach pas­siv wahr, was um uns herum geschieht, son­dern entwick­eln aktiv Vorher­sagen dafür, was passiert und gle­ichen diese Vorher­sagen dann lediglich mit unseren Sinneswahrnehmungen ab:

Sim­u­la­tions are your brain’s guess­es of what’s hap­pen­ing in the world. In every wak­ing moment, you’re faced with ambigu­ous, noisy infor­ma­tion from your eyes, ears, nose, and oth­er sen­so­ry organs. Your brain uses your past expe­ri­ences to con­struct a hypoth­e­sis— the sim­u­la­tion— and com­pares it to the cacoph­o­ny arriv­ing from your sens­es. [..] These neur­al con­ver­sa­tions try to antic­i­pate every frag­ment of sight, sound, smell, taste, and touch that you will expe­ri­ence, and every action that you will take. These pre­dic­tions are your brain’s best guess­es of what’s going on in the world around you, and how to deal with it to keep you alive and well.

Wenn wir etwas sehen, entste­ht also ein Wech­sel­spiel zwis­chen den Erwartun­gen unseres Gehirnsund den Ein­drück­en, die unsere Augen aufnehmen. Solange diese Ein­drücke zu unseren Erwartun­gen passen, hat das Gehirn keinen Grund, von sein­er Vorher­sage abzuwe­ichen. Dann nehmen wir eine Wahrnehmung als gegeben hin, auch wenn sie immer noch falsch sein kann – dann hal­ten wir einen Schat­ten für einen Stein oder Qui­etschen eines Autor­eifens für das Miauen ein­er Katze. Feld­man Bar­rett dazu:

The visu­al input mere­ly con­firms the pre­dic­tion is cor­rect, so the input needn’t trav­el any fur­ther in the brain. The neu­rons in your visu­al cor­tex are already fir­ing as they should be. This effi­cient, pre­dic­tive process is your brain’s default way of nav­i­gat­ing the world and mak­ing sense of it.

Auf diese Weise lassen sich zahlre­iche Eigen­heit­en unser­er Wahrnehmung erk­lären, wie zum Beispiel optis­che Illu­sio­nen, die mit wider­sprüch­lichen Erwartun­gen spie­len, unsere Fähigkeit, aus kleinen Teilen das große Ganze zu iden­ti­fizieren, oder auch der sys­tem­a­tis­che Unter­schied zwis­chen dem, was Daniel Kah­ne­mann Sys­tem 1 und Sys­tem 2 nen­nt – unserem schnellen intu­itiv­en Denken ein­er­seits und dem langsameren, reflek­tieren und stärk­er ratio­nalen Denken ander­er­seits.

Quellen

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