Laterpay und die Psychologie des Micropayments

Für Anbi­eter, die im Inter­net mit Tex­ten Geld ver­di­enen wollen, ist es nicht immer ein­fach, die Nutzer dazu zu brin­gen, für das Gele­sene Geld auf den Tisch zu leg­en. In diesem Zusam­men­hang haben sich in den let­zten Jahren zahlre­iche unter­schiedliche Mod­elle entwick­elt:

  1. Die klas­sis­che Pay­wall mit einem Fla­trate-Zugang zu allen Inhal­ten (wie zum Beispiel beim Wall Street Jour­nal),
  2. das Bün­deln von Blog­beiträ­gen und weit­eren Tex­ten in eBooks (z.B. bei Clarkesworld),
  3. der Verkauf einzel­ner Artikel im PDF-For­mat (z.B. Stiftung War­entest),
  4. das aktive Ein­fordern von Spenden (z.B. bei der taz),
  5. das Ermöglichen frei­williger Spenden (z.B. per flat­tr)
  6. und bes­timmt noch etliche andere, die ich vergessen habe oder noch nicht kenne…

Dabei haben alle diese Optio­nen ihre Vor- und Nachteile: Optio­nen (1) und (2) wider­sprechen einem Grund­prinzip der Online-Infor­ma­tion — der freien Auswahl und dem eige­nen Zusam­men­stellen des Infor­ma­tion­s­menüs –, indem sie einen redak­tionell fest­gelegten Mix an Infor­ma­tio­nen und Tex­ten verkaufen, und über­tra­gen so lediglich analoge Mod­elle (Abon­nement und Buchkauf) in die dig­i­tale Welt. Optio­nen (3) — (5) sind hier insofern für den Leser attrak­tiv­er, als dass dieser tat­säch­lich nur für das zahlt, was er auch tat­säch­lich nutzen bzw. lesen möchte. Dabei hat Mod­ell (3) das Prob­lem, dass der Inhal­tean­bi­eter eine eigene Bezahlin­fra­struk­tur auf­bauen muss und der Leser immer weit­ere neue Accounts ein­richt­en muss.

Vari­anten (4) und (5) hinge­gen lassen sich grund­sät­zlich über zen­trale Plat­tfor­men abwick­eln und wer­den auf diese Weise für den Nutzer sehr bequem, sind bish­er aber eben nur für frei­willige Zahlun­gen der Leser umge­set­zt. Hinzu kommt bei allen drei Vari­anten das Prob­lem, dass Gebühren und Kosten für die Infra­struk­tur einen großen Teil der oft­mals sehr gerin­gen Ein­nah­men pro Artikel auf­fressen. Auf der tech­nis­chen und betrieb­swirtschaftlichen Ebene ist das The­ma in meinen Augen schon zu genüge durchgekaut wor­den — hier gilt es jet­zt vor allem weit­ere Ideen zu gener­ieren und in der freien Wild­bahn zu testen.

Genau eine solche weit­ere Idee, die das Start-up Lat­er­pay aus München jet­zt fast bis zur Mark­treife entwick­elt hat, brachte mich auf den Gedanken, mich der Frage mal aus der Per­spek­tive der Ver­hal­tensökonomik zu näh­ern — einem Mis­chwe­sen aus Mikroökonomik und Psy­cholo­gie –, mit dem man sich der Frage näh­ern kann, welche Prozesse der Kaufentschei­dung des Online-Lesers zugrunde liegen und wie diese mit den unter­schiedlichen Mod­ellen zusam­menge­hen. Dabei konzen­triere ich mich auf die tat­säch­lichen Kauf-Mod­elle, also meine Num­mern (1), (2), (3) und Lat­er­pay.

Laterpay: dezentrales Lesen und zentrales Bezahlen

Lat­er­pay liegt eine ein­fache Logik zugrunde: Sieht ein Leser einen Text, den er gerne lesen würde, den sich der Autor aber bezahlen lassen möchte, klickt er einen But­ton, auf dem auch der Preis angezeigt wird. Dadurch reg­istri­ert er diesen Kauf bei Lat­er­pay. So bekommt man Zugang zu dem Text, ohne jedes Mal Zugangs­dat­en oder gar die Kred­itkarte bere­i­thal­ten zu müssen. Im Hin­ter­grund sam­melt Lat­er­pay die unter­schiedlichen Käufe, und wenn eine bes­timmte Gren­ze über­schrit­ten ist — aktuell 5€ –, wird die entsprechende Summe beim Käufer abge­bucht und den Kon­ten der Autoren entsprechend ihres jew­eili­gen Preis­es gut­geschrieben. (Eine aus­führlichere Vorstel­lung find­et sich im Blog von Richard Gut­jahr und in einem Inter­view mit ihm auf Lousy Pen­nies, eine Demo-Instal­la­tion, auf der keine Käufe getätigt wer­den, gibt es eben­so.)

Auf diese Weise verbindet Lat­er­pay die Ent­bün­delung von Tex­ten mit der Abwick­lung über eine für den Leser extrem ein­fach zu bedi­enende und — im Ide­al­fall — über zahlre­iche Web­seit­en hin­weg funk­tion­ierende zen­trale Plat­tform.

Die Prospect Theory und das Problem kleiner Zahlungen

Ein grundle­gen­des Prob­lem von Lat­er­pay liegt darin, dass es vom Leser zahlre­iche Kaufentschei­dun­gen erwartet, die jew­eils nur einen gerin­gen Betrag umfassen: 20ct hier, 30ct da und 15ct woan­ders. Dabei wird ein in der Ver­hal­tensökonomik ent­deck­tes Prinzip rel­e­vant, das als prospect the­o­ry beze­ich­net wird und das 1979 von den Psy­cholo­gen Daniel Kah­ne­man und Amos Tver­sky beschrieben wurde ((Kah­ne­man, Daniel & Amos Tver­sky (1979): Prospect The­o­ry: An Analy­sis of Deci­sion under Risk. In: Econo­met­ri­ca, 47(2), pp. 263–291)).

In der klas­sis­chen Ökonomie haben bes­timmte Geld­sum­men für einen poten­ziellen Käufer einen fes­ten Nutzen. Ein Euro entspricht dann beispiel­sweise ein­er Nutzenein­heit (NE). Um sich einen Artikel für 1€ zu kaufen (also 1NE herzugeben), müsste der Käufer sich also mehr als 1NE Gewinn durch die Lek­türe des Textes erhof­fen (pur­er Spaß an der Lek­türe, Vor­bere­itung auf eine Prü­fung, beru­flich rel­e­vante Infor­ma­tio­nen…). Ein Preis von 7€ würde dabei 7NE entsprechen, 15€ 15NE und so weit­er. Tat­säch­lich fan­den Kah­ne­mann und Tver­sky jedoch in ihren Exper­i­menten ein anderes Muster: Bei ihren Proban­den zeigte sich, dass, 7€ keineswegs 7NE entsprechen, son­dern vielmehr lediglich 6,5NE und 16€ lediglich 12NE ((die Zahlen sind fik­tiv und dienen lediglich der Verdeut­lichung des Prinzips)).

Daraus ergeben sich für die Preis­gestal­tung Kon­se­quen­zen, denn Preise soll­ten nach dieser Logik möglichst stark aggregiert angegeben wer­den, um sich diesen Effekt zunutze zu machen: Eine Zeitung ‚die beispiel­sweise ein Abon­nement über 16 Aus­gaben für 16€ anbi­etet und für die einzelne Aus­gabe 1€ ver­langt, set­zt dem­nach unter­schiedliche Nutzenan­reize. Das Abon­nement für 16€ ver­langt vom Käufer die Auf­gabe von ein­ma­lig 12NE, der Einzelka­uf von 16 Aus­gaben hinge­gen von 16 mal 1NE also ins­ge­samt 16NE, da jede Kaufentschei­dung aufs Neue vom Käufer als Ver­lust von Geld wahrgenom­men wird.

Für unsere Frage nach der psy­chol­o­gis­chen Dynamik von Micro­pay­ment ergibt sich damit das Prob­lem, dass zahlre­iche Käufe zu einem niedri­gen Preis wesentlich zöger­lich­er durchge­führt wer­den als ein aggregiert­er Kauf zur Summe der Einzel­preise — immer natür­lich unter den ganzen nicht immer real­is­tis­chen ökonomisch-the­o­retis­chen Annah­men über (bed­ingt) ratio­nale Entschei­dun­gen, die diesem Mod­ell zugrunde liegen.

Jetzt nutzen, später zahlen

Während diese Über­legun­gen auf den ersten Blick nach einem großen Prob­lem für jedliche Art des Micro­pay­ments klin­gen, hat Lat­er­pay einen clev­eren Weg gewählt, diese Verz­er­rung der Wahrnehmung und diese Hem­mungen, zahlre­iche Einkäufe zu kleinen Preisen vorzunehmen, zu umge­hen. Dabei nutzt es einen weit­eren Effekt aus der Sozialpsy­cholo­gie, das tem­po­ral dis­count­ing, also die Idee, dass zukün­ftige Gewinne oder Ver­luste mit weniger Nutzen ver­bun­den sind, als heutige: Im oben erwäh­n­ten Beispiel des Zeitungsabon­nements wäre ein Preis von 16€ bei sofor­tiger Zahlung mit 12NE ver­bun­den und bei Zahlung in sechs Monat­en lediglich mit 10NE. Dieses Prinzip — ver­bun­den mit dem Konzept der delayed grat­i­fi­ca­tion — ist beispiel­sweise eine wun­der­bare Erk­lärung für den Erfolg von Kon­sumkred­iten oder die ver­führerische Kraft von Kred­itkarten.

In unserem Zusam­men­hang ist es daher wichtig zu klären, welch­er Moment vom poten­ziellen Käufer als Moment der Bezahlung wahrgenom­men wird: der Moment, in dem er seinen Kauf auf der Web­seite reg­istri­ert, oder der Moment, in dem ihm Lat­er­pay die Rech­nung für im Laufe der Zeit gesam­melten Artikel präsen­tiert? Im ersten Fall ist für Lat­er­pay lei­der nicht viel gewon­nen, da für den Leser ein unmit­tel­bar­er Zusam­men­hang zwis­chen Klick und Gel­daus­gabe beste­ht, im let­zteren Fall hinge­gen entste­ht eine Dis­tanz, die die Hemm­schwelle des Lesers absenken kann.

Dazu tra­gen zwei weit­ere Desig­nentschei­dun­gen von Lat­er­pay bei: Auf der einen Seite bemühen sich die Münch­en­er, den entsprechen­den But­ton möglichst unauf­fäl­lig wirken zu lassen, um den Leser nicht mit der Nase darauf zu stoßen, dass er ger­ade eine Kaufentschei­dung trifft — ohne natür­lich in betrügerisches Ver­schleiern von Kosten abzu­rutschen. Darüber hin­aus bietet Lat­er­pay ein Rück­gaberecht an, das den Kauf eines Artikels in geringem Maße als vor­läu­fig wirken lässt.

Das Beste aus beiden Welten?

Welche Schlussfol­gerun­gen lassen sich aus diesen Über­legun­gen im Hin­blick auf Lat­er­pay und die zugrunde liegen­den Ideen des Micro­pay­ments ziehen: Neben den tech­nis­chen Fra­gen nach der Umset­zbarkeit und den betrieb­swirtschaftlichen nach der Rentabil­ität und dem zu erzie­len­den Umsatz stellen sich auch psy­chol­o­gisch-ver­hal­tensökonomis­che Fra­gen. Dabei weist die prospect the­o­ry auf ein zen­trales Prob­lem sämtlich­er Micro­pay­ment-Ansätze hin: die Ent­bün­delung von Kosten, welche die Hemm­schwelle zum Kauf erhöht. Gle­ichzeit­ig bieten sich jedoch auch Möglichkeit­en, deren neg­a­tive Auswirkun­gen auszu­gle­ichen: Ins­beson­dere die Schaf­fung ein­er zeitlichen und psy­chol­o­gis­chen Dis­tanz zwis­chen dem Moment der Kaufentschei­dung und dem des Bezahlens stellt hier eine Option dar, welche sich Lat­er­pay (eben­so wie andere Ansätze) zunutze macht. Nur wenn ein Start-up zu den Prob­le­men auf allen drei Ebe­nen eine angemessene Lösung find­et, hat es die Möglichkeit langfristig erfol­gre­ich zu sein und der Idee zum Durch­bruch zu ver­helfen. In meinen Augen ist Lat­er­pay dabei auf einem guten Weg.

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