Dünne Regeln brauchen eine stabile Welt
Damit sich Algorithmen als dominante Form von Regeln etablieren konnten, musste die Welt erst in eine Form gebracht werden, in der das, was Lorraine Daston in ihrem Buch Rules „dünne Regeln“ nennt, ausreichend ist, um komplexe Zusammenhänge zu erfassen und zu kontrollieren. Vor- und frühmoderne Zeiten waren von einem Regelmodell geprägt, das Daston „dick“ nennt und dessen Anwendung ein hohes Maß an kontextuellem und situativem Wissen voraussetzt. Letztlich ist es ein Mensch in einer konkreten Situation, der die Komplexität einer Entscheidung erfassen und auflösen muss.
Mittlerweile funktioniert unsere Gesellschaft jedoch in zahlreichen Aspekten zumindest vordergründig sehr kontrolliert und berechenbar. Das erlaubt und wiederum auch „dünne“ Regeln zu formulieren, die universell angewendet werden können, ohne dass umfangreiches Wissen über Kontext und Situation notwendig wäre. Deren Komplexität wurde bereits zuvor durch andere Systeme und Strukturen reduziert und ist nun stabil genug, auch von dünnen Regeln erfasst zu werden.
So schreibt Daston:
They were thin not because they were independent of context but rather because their context had been carefully fixed. The element of unpredictability and variability so characteristic of thick rules, including even pre- modern algorithms with open- ended applications, had largely been eliminated […].
Weitestgehend standardisierte Abläufe und standardisierte Materialien z. B. erlauben die weitestgehende Automatisierung von Produktionsprozessen, ohne dass von den Mitarbeitenden umfangreiche Erfahrung und Wissen über die verwendeten Materialien erwartet werden muss.