Ich und Selbst im Zusammenspiel

Den Kon­flikt zwis­chen Ich und Selb­st kön­nen wir nur dann bei­le­gen, wenn wir ein neues Ver­ständ­nis für die Inter­ak­tion dieser bei­den Aspek­te entwick­eln. Einen spez­i­fis­chen Ansatz ver­fol­gt hier Anto­nio Dama­sio, der dem ratio­nalen Teil unseres Denkens Emo­tio­nen an die Seite stellt, die in seinen Augen eng mit dem Selb­st ver­bun­den sind. Neben die Fak­ten und sach­lichen Infor­ma­tio­nen zu ein­er Frage treten damit die Gefüh­le und Emo­tio­nen, die sie unwillkür­lich in uns her­vor­ruft. So schreibt Jere­my Lent in seinem Buch The Web of Mean­ing:

Mean­while, Anto­nio Dama­sio and oth­er neu­ro­sci­en­tists have been inves­ti­gat­ing the neur­al sys­tems that lead to deci­sions in humans. They have iden­ti­fied two par­al­lel path­ways, inter­act­ing with each oth­er, that induce us to decide what to do. One path­way, cor­re­spond­ing to the ‘self’, recalls the emo­tion­al expe­ri­ence of sim­i­lar sit­u­a­tions, just like the ante­lope in the savan­na, and acti­vates appro­pri­ate instinc­tu­al respons­es. If the sit­u­a­tion evokes dan­ger, this could ini­ti­ate a ‘fight or flight’ stress response. If it evokes secu­ri­ty, it might lead to a sense of relax­ation with pos­i­tive emo­tions.

Unsere Entschei­dun­gen und unser Han­deln sind im Anschluss geprägt von der Inter­ak­tion dieser bei­den Struk­turen. Während wir im West­en dabei die Gefüh­le oft als weniger ratio­nal oder gar „min­der­w­er­tig“ sehen, scheint ihr tat­säch­lich­er Ein­fluss deut­lich zen­traler zu sein. Der ratio­nale Teil unseres Denkens reagiert in erster Lin­ie auf die emo­tionalen Impulse, indem er sie entwed­er mit Gewalt unter­drückt oder indem er ähn­lich einem Anwalt Argu­mente (er)findet, die die emo­tion­al geprägte Reak­tion auch ratio­nal recht­fer­ti­gen.

Mit Blick auf die Gefüh­le ist es fun­da­men­tal wichtig, dass damit tat­säch­lich zunächst nur die unmit­tel­baren kör­per­lichen Empfind­un­gen gemeint sind, nicht die Inter­pre­ta­tion, die unser konzep­tionelles Bewusst­sein diesen Empfind­un­gen zuschreibt:

For an instant, you expe­ri­ence it as pure aware­ness, but then your con­cep­tu­al con­scious­ness kicks in: ‘Oh, it’s that damn con­struc­tion again! When are they going to be fin­ished? Now it’s stop­ping me from med­i­tat­ing.’ At this point, the sto­ry you’ve for­mu­lat­ed may cause a sec­ondary response of anger to sweep through you. Now, your mind­ful­ness med­i­ta­tion offers you a choice point: you could get more annoyed, give up on your med­i­ta­tion for that day and plan an angry exchange with your neigh­bor, or you could reset your atten­tion to your inner expe­ri­ence: notice the shift from implic­it to con­scious response, feel the emo­tion cours­ing through your body, become curi­ous about the phys­i­o­log­i­cal sen­sa­tions, and rec­og­nize the sto­ries and plans your left-hemi­sphere nar­ra­tor was hatch­ing.

Nicht umson­st set­zen zahlre­iche östliche Philoso­phien, aber beispiel­sweise auch der römisch geprägte Stoizis­mus an genau dieser Stelle an, wenn es darum geht, innere Ruhe zu find­en. Lent beschreibt beispiel­sweise das bud­dhis­tis­che Konzept des dukkha:

The word dukkha is fre­quent­ly trans­lat­ed as ‘suf­fer­ing’, but it actu­al­ly refers to a much broad­er spec­trum of expe­ri­ences aris­ing from the sto­ries that ‘I’ inevitably con­struct, includ­ing feel­ings of unease, wor­ry, grasp­ing, long­ing, regret, embar­rass­ment, and a host of oth­er states derived from the work­ings of con­cep­tu­al con­scious­ness. In a sense, dukkha can be under­stood as the inverse of wu-wei– as the cus­tom­ary state when ‘I’ am not in com­plete har­mo­ny with my ‘self’.

Unsere Her­aus­forderung ist es nun, diesen Wider­spruch aufzulösen, das Ich und das Selb­st, das ratio­nale Denken und das kör­per­liche Empfind­en wieder zusam­men und in Ein­klang zu brin­gen. Wir haben auch in unserem Welt­bild einen Namen für diesen erstrebenswerten Zus­tand, auch wenn wir ihn typ­is­cher­weise in erster Lin­ie auf das pro­duk­tive Tun beziehen und ihn beson­ders in unser­er Arbeit anstreben: Flow. So schreibt Lent über das Erleben des wu-wei:

The full expe­ri­ence of wu-wei occurs, not so much when we’re on autopi­lot, but when we inte­grate auto­mat­ic activ­i­ty with con­scious atten­tion. […] He describes this plea­sur­able state as exist­ing on the bound­ary between bore­dom and anx­i­ety, when there’s just enough chal­lenge to remain absorbed, but not so much that you become over­wrought.

Und das wiederum schnup­pert mir doch arg nach dem von Mihá­ly Csík­szent­mi­há­lyi beschriebe­nen pro­duk­tiv­en Ide­alzu­s­tand. Aber wie wäre es, wenn wir nicht nur einen Arbeits­flow suchen wür­den, son­dern noch viel mehr einen Lebens­flow? Und hat vielle­icht auch Hart­mut Rosas Idee der Res­o­nanz hier ihre Fin­ger im Spiel?

Quellen

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