Von Volksbedarf und Volksgeschichte

Eines der Mot­tos der Bauhaus-Gestal­tung war der kurze Satz „Volks­be­darf statt Luxus­be­darf“. Zufäl­liger­weise klingt dieses Mot­to auch wie eine sozial­is­tis­che Parole, sodass es kein Wun­der ist, dass das Bauhaus die Pla­nun­gen zum Wieder­auf­bau in der Sow­jetis­chen Besatzungszone (SBZ) bzw. der frühen DDR prägte. An zen­tralen Stellen in den Min­is­te­rien in Berlin eben­so wie in den Städten fan­den sich Baushäusler anfangs in ver­ant­wortlichen Posi­tio­nen. Auch ihr Glaube an die umfassende Gestalt­barkeit und Steuer­barkeit der Gesellschaft war für die Stadt- und Gesellschaft­s­pla­nung sowie die Architek­tur der SBZ unmit­tel­bar anschlussfähig, wenn nicht sog­ar prä­gend.

Gle­ichzeit­ig stand das Bauhaus jedoch auch für einen mod­er­nen Blick auf die Welt, für Kos­mopolitismus und den möglichst neu­tralen Blick auf Form und Funk­tion. Sie sahen ins­beson­dere die zer­störte SBZ als gigan­tis­ches Ver­such­sla­bor für ihre gestal­ter­ischen und planer­ischen Ideen. Damit wiederum wider­sprachen sie in zen­tralen Punk­ten ein­er anderen Strö­mung des Zeit­geists, die auf das Deutsch­land und die deutsche Iden­tität vor den bei­den Weltkriegen zurück­greifen wollte – heute in der Architek­tur als Neok­las­sizis­mus beze­ich­net. Hier standen his­torische Anlei­hen, „deutsche“ Sym­bo­l­ik und die Bil­dung eines neuen, ide­al­er­weise sozial­is­tis­chen deutschen Selb­st­bildes im Mit­telpunkt. Zudem war dieser Ansatz im hohen Maße anschlussfähig an den immer noch existieren­den Nation­al­is­mus und Anti­semitismus. Der mod­erne For­mal­is­mus des Bauhaus wurde dabei als „anti­hu­man“, „volks­fremd“ oder gar „-feindlich“ beze­ich­net

Dieser Kon­flikt mün­dete im soge­nan­nten „For­mal­is­musstre­it“ um die weit­ere Entwick­lung der SBZ bzw. DDR. Hier ist ins­beson­dere der Direk­tor des Insti­tuts für Städte­bau und Hochbau im Min­is­teri­um für Auf­bau, Kurt Liebknecht, zu nen­nen. Dieser for­mulierte mit ein­er Del­e­ga­tion 1950 nach ein­er Stu­di­en­reise in die Sow­je­tu­nion „16 Grund­sätze des Städte­baus“, die die Grund­la­gen neok­las­sizis­tis­ch­er Architek­tur festschrieben und schließlich sog­ar geset­zlich fest­geschrieben wur­den. Damit war das Schick­sal mod­ernistis­ch­er Architek­tur und Pla­nung in der SBZ bzw. DDR im Zusam­men­hang mit der Stad­ten­twick­lung besiegelt.

Auch wenn die Gründe für diese Entschei­dung aus heutiger Sicht nicht legit­im und fortschritts­feindlich klin­gen, scheinen sie die Städte in der DDR davor bewahrt zu haben, so zu enden wie die voll­ständig auto-zen­tri­erten Städte in den USA, bei denen Wohnen und Arbeit­en in der Stadt-Struk­tur streng voneinan­der getren­nt sind. So schreiben die „16 Grund­sätze“ beispiel­sweise fest:

Der Stadt­pla­nung zugrunde gelegt wer­den müssen das Prinzip des Organ­is­chen und die Berück­sich­ti­gung der his­torisch ent­stande­nen Struk­tur der Stadt bei Besei­t­i­gung ihrer Män­gel.

Auch wenn dieser Plan in der DDR nicht umge­set­zt wurde und die Städte vielfach in einem des­o­lat­en Zus­tand verblieben, entspricht diese Grun­didee dann auch heuti­gen stadt­planer­ischen Forderun­gen nach fußläu­fi­gen Quartieren, organ­isch wach­senden Städten und ein­er Mis­chung von Arbeit, Wohnen und Freizeit. An dieser Stelle kön­nen wir also froh sein, dass sich die Mod­ernisten nicht durchge­set­zt haben, ein­fach weil ihnen die langfristi­gen Kon­se­quen­zen ihrer Pla­nung nicht klar waren oder nicht klar gewe­sen sein kon­nten.

Was nicht heißt, dass die Funk­tion im Laufe der Zeit nicht doch eine große Rolle in der Wirtschaft­s­pla­nung und der Wohn­be­bau­ung in der DDR gespielt hätte: Die Bauhäusler fan­den oft­mals ein Betä­ti­gungs­feld im Bau von Indus­triebe­trieben und auch der so prä­gende Plat­ten­bau ist im Kern eine bauhäus­lerische Entwick­lung. Wenn es um Pro­duk­tion und Effizienz geht, sind Funk­tion und Kon­trolle halt doch wichtiger als Gefühl und Iden­tität.

(Quelle: „Gefan­gen in der Tito­tal­itäts­mas­chine: Der Bauhäusler Franz Ehrlich“ von Friedrich von Bor­ries und Jens-Uwe Fis­ch­er)

Quellen

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