Von neuronalen Lawinen und mentalen Symphonien

Die Musik, die mich begleit­et während ich schreibe – das neue Muse-Album Drone -, löst in meinem Kopf eine Vielzahl an Assozi­a­tio­nen aus: Ich kön­nte sie mit einem großar­ti­gen Konz­ert verbinden, mich von ihrer Atmo­sphäre mitreißen oder von den Tex­ten inspiri­eren lassen. Ich wäre überzeugt davon, dass meine Reak­tion auf diese Musik meine eigene ist und nichts mit der ander­er Men­schen gemein hat. Doch neu­rowis­senschaftliche Erken­nt­nisse weck­en Zweifel daran, dass dem wirk­lich so ist.

In seinem aktuellen Buch Denken. Wie das Gehirn Bewusst­sein schafft geht der Kog­ni­tion­swis­senschaftler Stanis­las Dehaene der großen Frage nach, welche Prozesse eigentlich in unserem Gehirn ablaufen, während wir Dinge wahrnehmen. Dabei weck­en Titel wie Klap­pen­text große Erwartun­gen, doch bere­its auf den ersten Seit­en erwartet den Leser ein Akt der natur­wis­senschaftlichen Reduk­tion, der diese Erwartun­gen vor­erst ent­täuscht: In einem – zugegeben­er­weise gut begrün­de­ten – Hand­stre­ich reduziert Dehaene den gesamten Fra­genkom­plex um das Bewusst­sein auf ein einziges kleines Phänomen: den bewussten Zugang.

Bewusstsein und bewusster Zugang

Auf den ersten Blick wirkt diese Vere­in­fachung unzure­ichend und über­mäßig reduk­tion­is­tisch, doch sie macht ein so vielfältiges The­ma wie das Bewusst­sein über­haupt erst exper­i­menteller Unter­suchung zugänglich. Unter bewusstem Zugang ver­ste­ht Dehaene dabei den Vor­gang, eine Infor­ma­tion “an die vorder­ste Front unseres Denkens [zu] beförder[n]” (S. 35).

Das grund­sät­zliche Design der Exper­i­mente, auf denen zahlre­iche der Forschun­gen in diesem Bere­ichen basieren ist dabei äußert clever: Es nutzt den Umstand aus, dass wir Bilder, die wir nur einen kurzen Moment gezeigt bekom­men, nicht bewusst wahrnehmen. Die Forsch­er zeigen ihren Proban­den Bilder unter­halb und ober­halb dieser Wahrnehmungss­chwelle von ca. 50 Mil­lisekun­den und kön­nen so bewussten Zugang von unbe­wusster Wahrnehmung abgren­zen:

Das ent­muti­gende Prob­lem des Bewusst­seins war auf das exper­i­mentelle Ziel reduziert wor­den, jene Gehirn­mech­a­nis­men zu entschlüs­seln, die sich aus zwei unter­schiedlichen Ver­such­sanord­nun­gen ergeben – ein sehr viel leichter zu bear­bei­t­en­des Prob­lem. (S. 20)

Auch wenn diese Vere­in­fachung unangemessen erscheinen kann, ermöglicht sie bere­its einen tiefen Ein­blick in den Zusam­men­hang zwis­chen neu­ronaler Sig­nalüber­tra­gung in unserem Gehirn und dem, was wir landläu­fig Bewusst­sein nen­nen.

Messbare Signaturen des Bewusstseins

Dehaene zielt in sein­er Arbeit auch nicht darauf ab, das Phänomen des bewussten Zugangs voll­ständig zu erk­lären, son­dern ver­sucht eine möglicht starke Verbindung zwis­chen mess­baren Gehirn-Prozessen und bewusstem Zugang herzustellen:

Am Ende kom­men wir zu einem sim­plen Forschung­spro­gramm – der Suche nach objek­tiv­en Mech­a­nis­men sub­jek­tiv­er Zustände, sys­tem­a­tis­chen »Sig­na­turen« in der Gehir­nak­tiv­ität. die den Über­gang vom Unbe­wussten zum Bewusst­sein anzeigen. (S. 29)

Es geht also darum, mess­bare Muster in der Aktiv­ität des Gehirns zu find­en, die immer dann auftreten, wenn ger­ade eine bewusste Wahrnehmung erfol­gt und die nie auftreten, wenn ger­ade keine bewusste Wahrnehmung erfol­gt. Und tat­säch­lich kann Dehaene die Exis­tenz solch­er Sig­na­turen nach­weisen. Ins­ge­samt find­et er vier solch­er Sig­na­turen, welche er als eine “selb­stver­stärk­ende Law­ine neu­ronaler Aktiv­ität” zusam­men­fasst:

Bewusste Wahrnehmung ist das Ergeb­nis ein­er Welle neu­ronaler Aktiv­ität, die den Kor­tex über seine Erre­gungss­chwelle kippt. Ein bewusster Reiz löst eine selb­stver­stärk­ende Law­ine aus, die am Ende viele Regio­nen zu einem ver­schränk­ten Zus­tand anregt. Während dieses bewussten Zus­tands, der annäh­ernd 300 Mil­lisekun­den nach dem Ein­set­zen des Reizes anfängt, wer­den die Stirn­re­gio­nen des Gehirns von unten nach oben über den sen­sorischen Input informiert, aber diese Regio­nen senden auch aus­geprägte Pro­jek­tio­nen in die ent­ge­genge­set­zte Rich­tung – von oben nach unten und in viele ver­streute Areale. (S. 203)

Diese Beschrei­bung bezieht sich auf den Moment, wo wir die Exis­tenz eines Objek­tes bewusst wahrnehmen. Sie beschreibt also die Reak­tion auf einen bes­timmten neuen Reiz, der in unsere Aufmerk­samkeit und unsere bewusste Wahrnehmung tritt. Er ver­all­ge­mein­ert diese Sig­natur anschließend auf alle bewussten Wahrnehmungen und Erfahrun­gen:

All unsere bewussten Erfahrun­gen, vom Klang eines Orch­esters bis zum Geruch von ver­bran­ntem Toast, stam­men aus ein­er ähn­lichen Quelle: der Aktiv­ität aus­geprägter Hirn­schaltkreise, die repro­duzier­bare neu­ronale Sig­na­turen aufweisen. (S. 229)

Das Ende der Qualia?

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Dabei lassen die aktiv­en neu­ronalen Muster einen Rückschluss auf den Bewusst­seinsin­halt zu. Dehaene beschreibt sog­ar eine Unter­suchung, die bes­timmte Neu­ro­nen iden­ti­fizieren kon­nte, welche auss­chließlich auf ein bes­timmtes Objekt oder eine bes­timmte Per­son reagieren und diese damit men­tal repräsen­tieren. Durch die elek­trische Stim­u­la­tion bes­timmter Ner­ven­re­gio­nen lassen sich dem­nach sog­ar bes­timmte Bewusst­seinsin­halte her­vor­rufen:

Im Prinzip glauben wir Neu­rowis­senschaftler an die Fan­tasie der Philosophen vom »Gehirn im Tank«, wie sie der Film The Matrix ein­drucksvoll illus­tri­ert. Wenn wir die richti­gen Neu­ro­nen stim­ulieren und andere zum Schweigen brin­gen, soll­ten wir imstande sein, jed­erzeit Hal­luz­i­na­tio­nen all der unzäh­li­gen sub­jek­tiv­en Zustände nachzu­bilden, die Men­schen regelmäßig haben. Neu­ronale Law­inen soll­ten men­tale Sym­phonien verur­sachen. (S. 230)

Aus dieser Fähigkeit leit­et Dehaene eine weitre­ichende Schlussfol­gerung ab: Er sieht auf dieser Grund­lage die Idee der Qualia, also den sub­jek­tiv­en Charak­ter von Bewusst­seinsin­hal­ten, als unnötig an. Hier kommt er allerd­ings zu einem Zirkelschluss: Aus der forschung­sprag­ma­tis­chen Set­zung des bewussten Zugangs als Ersatz für das Bewusst­sein und der Suche nach dessen Sig­na­turen schließt er auf eine tat­säch­liche Iden­tität dieser Phänomene:

Das hypo­thetis­che Konzept der Qualia als rein geistiger, von jeglich­er Rolle der Infor­ma­tionsver­ar­beitung getren­nter Erfahrun­gen wird als eigen­tüm­liche Vorstel­lung der vor­wis­senschaftlichen Ära ange­se­hen wer­den. (S. 375)

Diese Hypothese ist nicht neu und wird in der Philoso­phie des Geistes bere­its seit Langem kon­tro­vers disku­tiert, sie wird jedoch durch die empirische Forschung, die Dehaene schildert, nicht belegt.

Quellen

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