Spinozas Philosophie konnte kollektive Selbsttäuschung nicht überwinden
Ein weiteres Beispiel für einen Philosophen, der schon im 17. Jahrhundert einen sehr modernen Blick auf die Welt hatte, ist Brauch de Spinoza. Doch da er die unbequemen Fragen stellte und nicht bereit war, seine neuen Ideen für die „alte Garde“ verdaulich zu verpacken, ist er bis heute nicht Teil des großen westlichen Kanons, sondern eher eine bekannte Figur des historischen philosophischen Untergrunds.
Warum er diese Position hat, wird beispielsweise an dem deutlich, was Phillip Blom in seinem Buch Unterwerfung über seinen Blick auf Religion und Gott schreibt:
Wenn Gott in allem ist, wenn sein perfekter Wille die Welt so geschaffen hat, wie sie ist, und selbst nicht ändern kann, dann ist er selbst nicht nur immanent in allen Dingen, er ist auch als Idee nicht mehr notwendig
Ähnlich wie Telesio war auch er sich der Schwächen des menschlichen Denkens bewusst und formulierte eine Version dessen, was wir heute z. B. als confirmation bias kennen:
Natürlich war es eine Illusion zu glauben, die Welt sei zum Nutzen der Menschen geschaffen, und dass ein Gott sich bestechen ließ, um ihren Willen durchzusetzen, aber die Menschen selbst zogen diese Illusion der Wahrheit vor, weil sie sich darin wiedererkannten und damit gut fühlten und weil auch ihre Nachbarn so dachten. Es war ihnen einfach zu anstrengend, »jenes ganze Gebäude niederzureißen und ein neues zu erdenken«
Doch auch er fand zuerst wenig Nachhall in der Philosophie seiner Zeit und wurde erst später von den deutschen Romantikern konstruktiv aufgegriffen.