Kritik als Strategie

In der Öffentlichkeit­sar­beit gibt es das alte Cre­do „Es gibt keine schlechte Aufmerk­samkeit“. In der let­zten Zeit sind mir im Zusam­men­hang mit dem The­ma „KI“ sog­ar zwei Mech­a­nis­men aufge­fall­en, bei denen ehrliche Kri­tik einen pos­i­tiv­en Effekt für das Kri­tisierte haben kön­nen:

Critihype

Ger­ade am Anfang der „neuen Gen­er­a­tion“ öffentlich ver­füg­bar­er KI-Tools gab es eine große Diskus­sion darum, wie gefährlich diese neue KI (also LLM-basierte sprach-gen­er­a­tive Mod­elle) für die Men­schheit wer­den kön­nte: Sie kön­nten die Macht übernehmen, uns aus­löschen oder unter­jochen. (s. auch Auch Kri­tik kann einen Hype ver­stärken)

Selt­samer­weise kam diese Kri­tik aus den Rei­hen der Sil­i­con-Val­ley Tech­bros, die selb­st genau diese Mod­elle vor Kurzem auf die Welt los­ge­lassen hat­ten. Es braucht aber nur zwei kleine Gedanken, um dieses Vorge­hen für strate­gisch sin­nvoll zu hal­ten:

Auf der einen Seite schwingt in jedem „Das kön­nte die Men­schheit aus­löschen“ mit, wie mächtig diese KI dafür sein muss, und dass man diese Macht ja „nur“ in die richti­gen Kanäle leit­en müsste. Es ist also let­ztlich Wer­bung für das eigene Pro­dukt. Auf der anderen Seite haben machtvolle Akteure in einem Markt – also in diesem Fall z. B. Ope­nAI oder Meta – ein Inter­esse an rechtlich­er Reg­ulierung. Als zen­trale Mark­tak­teure kön­nen sie diese näm­lich mit­gestal­ten und im Nach­gang rel­a­tiv ein­fach erfüllen. Für Neue­in­steiger in den Markt entste­hen jedoch Hür­den, die schw­er zu über­winden sind. So kön­nen die Großen ihren Markt absich­ern und in die näch­ste Phase der Enshit­ti­fi­ca­tion überge­hen.

Convenience Criticism

Ein weit­er­er Mech­a­nis­mus ist mir in den let­zten Wochen an zwei Stellen bei Malte Engel­er (@malteengeler) untergekom­men: Cove­nience Crit­i­cism also der kri­tis­che Fokus auf die prob­lema­tis­chen Aspek­te eines The­mas, die inner­halb der aktuellen diskur­siv­en Struk­tur anschlussfähig sind – und damit die Ver­drän­gung solch­er Punk­te, die grundle­gende Fra­gen stellen, welche den Sta­tus quo grund­sät­zlich hin­ter­fra­gen:

Zum ersten Mal bei der Diskus­sion um die Überwachung von Tele­fon­chats. Hier ist es die Präsi­dentin der Sig­nal Stiftung, die den ver­bre­it­eten und daten­schutzfre­undlichen Mes­sen­ger Sig­nal veröf­fentlicht, die konkrete poli­tis­che Forderun­gen for­muliert, um sichere und pri­vate Kom­mu­nika­tion zu gewährleis­ten. Diese Forderun­gen sind dabei eher zurück­hal­tend und weisen auf einen Min­i­mal­stan­dard hin. Ihre For­mulierung an promi­nen­ter Stelle lässt nun weit­erge­hende, grund­sät­zlichere Forderun­gen nach dem Schutz der Pri­vat­sphäre als unmäßig erscheinen. (Malte Engel­er: On Signal’s Mered­ith Whit­tak­er in The Econ­o­mist. Or: The ori­gins of poor dig­i­tal pol­i­cy demands)

Eine ähn­liche Dynamik beobachtet Engel­er bei der Diskus­sion über KI und hier konkret in dem Buch „KI und der neue Faschis­mus“ von Rain­er Mühlhoff. Hier zeich­net er nach, wie der Autor zwar kor­rekt auf eine enge Verquick­ung zwis­chen KI, Kap­i­tal­is­mus und Faschis­mus hin­weist, die zen­trale Rolle des Kap­i­tal­is­mus an dieser Stelle aber zu ober­fläch­lich her­ausar­beit­et. Beson­ders stört er sich daran, dass primär der „Dig­i­tale“ oder der „Sil­i­con Valley“-Kapitalismus kri­tisiert wer­den – als wären sie eine voll­ständig neue Ver­sion, ja fast schon eine Per­ver­sion eines imag­inären „unschuldigen“ Kap­i­tal­is­mus. Fak­tisch ist die Nähe zwis­chen Kap­i­tal­is­mus und Autokratie oder Faschis­mus aber schon immer da gewe­sen und für viele Autor*innen eine unau­flös­bare Verbindung. Durch die Qual­i­fizierung erspart es sich die Kri­tik dann, unan­genehme grundle­gende Fra­gen zu stellen und beant­worten zu müssen. Sie kann im Strom des „Beque­men“ mitschwim­men. (Con­ve­nience Crit­i­cism: On Rain­er Mühlhoff’s book about “AI” and Fas­cism)

(Aside: Für mich ist dieser Punkt auch ein weit­eres schönes Beispiel dafür, wie der geschick­te Ein­satz von qual­i­fizieren­den sprach­lichen Markierun­gen genutzt wer­den kann, um einen nicht-markierten Zus­tand als „nor­mal“ und „unverän­der­lich“ darzustellen.)

Im Gegen­satz zum Criti­hype geht es hier in bei­den Fällen ver­mut­lich weniger um eine bewusste Strate­gie zum eige­nen Nutzen, son­dern darum, in der aktuell aufge­heizten poli­tis­chen und gesellschaftlichen Diskus­sion über­haupt als anschlussfähig wahrgenom­men zu wer­den. Wie Engler auch selb­st schreibt: „[to be able to] square the cir­cle of for­mu­lat­ing pol­i­cy demands that both make a dif­fer­ence and have a vague prospect of being adopt­ed by pol­i­cy-mak­ers“.

Ein weit­er­er Grund, warum wir uns als Gesellschaft so schw­er damit tun, uns an eine sich immer schneller verän­dernde Welt anzu­passen …

Fediverse reactions

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