KI-Kunst ohne Intention

In einem aktuellen Essay beschäftigt sich Cory Doctorow (@pluralistic) damit, warum „Kunst“, die von künstlicher „Intelligenz“ erzeugt wird, sich für ihn seltsam, merkwürdig oder, auf Englisch treffend, eerie anfühlt. Er zitiert hier maßgeblich Henry Farrell bzw. Mark Fisher:

„Eeriness“ here is defined as „when there is something present where there should be nothing, or is there is nothing present when there should be something.“ AI is eerie because it produces the seeming of intent, without any intender.

Mich hat dieser Gedanke unmittelbar an zwei Größen der kritischen Theorie erinnert, die sich ebenfalls mit Kunst auseinandergesetzt und schon vor Jahrzehnten passende Gedanken formuliert haben. Mit beiden habe ich mich das letzte Mal vor knapp 20 Jahren im Studium beschäftigt, es kann also sein, dass Begrifflichkeiten und Details nicht ganz passen, aber es sind schließlich die Ideen im Kern, die zählen …

Walter Benjamins „Aura“

Der erste Autor ist Walter Benjamin und sein Text „Das Kunstwerk im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit“. Hier geht es logischerweise nicht um automatisch generierten Content, sondern um das Verhältnis von originalen Kunstwerken zu ihren eigenen Reproduktionen – also Konzerte zu Aufnahmen oder Gemälde zu Kunstdrucken.

Ein zentraler Begriff für Benjamin ist dabei eine Art „Aura“ des Echten, des Zeitlichen und des Einmaligen, die ein Original umgibt. Diese Aura kann keine Reproduktion wiedergeben, weil sie halt nicht in der echten Welt von einem Künstler erschaffen und in derselben Welt von den Menschen wahrgenommen wird. Reproduktionen sind immer vermittelt. Automatisch generierter Content ist nichtmal die Reproduktion eines Originals, sondern an sich und in sich ohne eine solche Aura.

Jürgen Habermas‘ wahrhafter Ausdruck

Hier schließt sich eine Idee an, die Jürgen Habermas in seiner Theorie des kommunikativen Handelns formuliert – ein wirklich grausam zu lesender, aber theoretisch sehr gehaltvoller Text. Hierin unterscheidet er verschiedene Formen des Ausdrucks – etwa Argumente und Kunst – und weist ihnen unterschiedliche Ansprüche an „Wahrheit“ zu. Während ein Argument auf sachlicher Ebene „wahr“ sein muss, sollte Kunst einen „wahrhaftigen Ausdruck“ der Kunstschaffenden darstellen.

Kunst setzt dabei also einen empfindenden Menschen voraus, der eine Emotion, ein Gefühl, eine Assoziation oder wasauchimmer in ein Werk ausdrückt; also zum Beispiel einen Text schreibt, ein Stück komponiert oder aufführt. Auch hier fehlt es automatisiert generiertem Content also an einer Grundvoraussetzung.

Beide Theoretiker geben uns vor einem etwas älteren theoretischen Hintergrund spannende Ideen und Konzepte an die Hand, die Aura und die Wahrhaftigkeit des Ausdrucks dessen zu diskutieren, was immer häufiger „KI generierte Kunst“ genannt wird.