Gebt der Wissenschaft ihre Magie zurück!

Von außen betra­chtet wirken die Natur­wis­senschaften wie ein Gehe­im­bund, der sich in sein­er eige­nen Sprache mit Fra­gen befasst, die kaum ein Außen­ste­hen­der nachvol­lziehen kann. Doch was, wenn wir Wis­senschaft als eine men­schliche Aktiv­ität begreifen, die der Kun­st nicht unähn­lich ist: eine Annäherung an eine geheimnisvolle Welt, die der Men­sch sich erfahrbar machen will?

Es ist noch nicht lange her, dass der Wis­senschaft­shis­torik­er Ernst Peter Fis­ch­er sich in einem Stre­it­ge­spräch für Spiegel Online mächtig in die Nes­seln geset­zt hat. Der äußerst kri­tis­che Tenor des Gesprächs gegenüber Wis­senschafts­blogs und etablierten Ein­rich­tun­gen der Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion in Deutsch­land hat, wie zu erwarten, im Netz für zahlre­iche Reak­tio­nen gesorgt: Den vorgeschobe­nen Kon­flikt zwis­chen Jour­nal­is­mus und Blogs nehmen Markus Pös­sel, Alexan­der Ger­ber und Flo­ri­an Freistät­ter enerviert auseinan­der und Sören Schewe demon­tiert den alt­bekan­nten Vor­wurf der Unwis­senschaftlichkeit von Blogs.

So weit, so gewohnt. Der span­nende Punkt dieses Gesprächs liegt in meinen Augen jedoch in den Aus­sagen Fis­ch­ers zu dem etablierten Sys­tem der Wis­senschafts-PR und ‑Kom­mu­nika­tion, auf die beispiel­sweise Jens Rehlän­der reagiert. Auf den ersten Blick wirkt Fis­ch­ers Aus­sage, “Das Nichtver­mit­teln von Wis­senschaft wurde vom organ­isierten Nichtver­mit­teln von Wis­senschaft abgelöst”, tat­säch­lich äußerst polemisch, doch wer sich aus­führlich­er mit seinen the­o­retis­chen Über­legun­gen zur Ver­mit­tlung von Wis­senschaft an Außen­ste­hende befasst, der kann den äußerst bedenkenswerten Hin­ter­grund dieser Aus­sage erken­nen.

Wissenschaft wirkt wie eine ungeliebte und irrelevante Parallelwelt, die nur Eingeweihten zugänglich ist

In seinem aktuellen Buch Die Verza­uberung der Welt set­zt sich Ernst Peter Fis­ch­er aus­führlich damit auseinan­der, in welch­er Weise die Erken­nt­nisse und die Fasz­i­na­tion der Natur­wis­senschaften auch Außen­ste­hen­den ver­mit­telt und deut­lich gemacht wer­den kön­nen. Dabei äußert er unter anderem sein Unbe­ha­gen darüber, dass die Natur­wis­senschaften in den Kreisen, die in der Öffentlichkeit als intellek­tuell wahrgenom­men wer­den, ger­ingschätzig betra­chtet oder zumin­d­est geflissentlich ignori­ert wer­den:

Es gehört zu den Pein­lichkeit­en in der öffentlichen Rede zur Kul­tur, dass immer noch die Frage aufge­wor­fen wer­den kann, ob die Natur­wis­senschaften zur Kul­tur gehören und zur Bil­dung von Men­schen beitra­gen. (S. 202)

Dabei ste­ht es außer Frage, dass die Wis­senschaft nicht nur die tech­nis­che Entwick­lung vor­angetrieben hat, son­dern auch einen wichti­gen Treiber der kul­turell-geisti­gen Entwick­lung ins­beson­dere des let­zten Jahrhun­derts darstellt. Erin­nert sei hier an die Wun­der der ersten Weltausstel­lun­gen oder das Ren­nen um die Eroberung des Wel­traums. Heute hat die Wis­senschaft diese Ausstrahlung und Fan­sz­i­na­tion­swirkung in der Bre­ite ver­loren. Sie wirkt vielmehr wie eine lang­weilige Geheimge­sellschaft.

Das führt dazu, dass wis­senschaftliche The­men in der Öffentlichkeit kaum mehr disku­tiert wer­den. Dabei soll es in solchen Debat­ten nicht um die Präzi­sion ein­er neuen Mess­meth­ode oder die Angemessen­heit eines teilchen­physikalis­chen Mod­ells gehen, son­dern um die Rolle der Wis­senschaft in der Gesellschaft, um das öffentliche Inter­esse an den Ergeb­nis­sen ihrer Arbeit und die Entwick­lung des gesellschaftlichen Sys­tems Wis­senschaft. Bis­lang ste­hen hier meist Fach­wis­senschaftler all­ge­mein wis­senschaftkri­tis­chen oder ‑igno­ran­ten “Intellek­tuellen” gegenüber. Fis­ch­er erhofft sich hinge­gen die Entwick­lung ein­er neuen Klasse wis­senschaftlich wie kul­turell gebilde­ter und gesellschaftlich aufmerk­samer “Wis­senschaft­skri­tik­er” in der Analo­gie zur klas­sis­chen Lit­er­aturkri­tik:

Wis­senschaft­skri­tik­er soll­ten die Wis­senschaft so wertschätzen und lieben wie Lit­er­aturkri­tik­er die Lit­er­atur, und sie soll­ten ihre Ergeb­nisse (Fragestel­lun­gen, Rel­e­vanz, alter­na­tive Verteilung der För­der­mit­tel) erörtern, um eine bessere Wis­senschaft zu ermöglichen. (S. 231)

Damit eine fundierte öffentliche Diskus­sion in Gang kommt, müssen sowohl die Wis­senschaft als auch die bre­it­ere Gesellschaft real­isieren, worauf der franzö­sis­che Philosoph und Sozi­olo­gie Bruno Latour bere­its seit einiger Zeit hin­weist: Wis­senschaft ist mehr als nur die objek­tive Beobach­tung, sie ist ein zen­traler Teil unser­er sozialen Welt und das geronnene Ergeb­nis von hun­derten Jahren sozialer Aushand­lung­sprozesse. Und sie ist trotz aller Ansprüche der Objek­tiv­ität bis heute geprägt von Lei­den­schaften und Emo­tio­nen. Der Umgang mit ihren Resul­tat­en bee­in­flusst das Leben aller Men­schen und muss somit unter all­ge­mein­er Beobach­tung ste­hen, die sich nicht auf wis­senschaft­sim­ma­nente Kri­te­rien beschränkt. Dass diese Sicht vie­len Natur­wis­senschaftler fremd und vielle­icht sog­ar bedrohlich erscheint, ist ver­ständlich, erin­nert jedoch daran, wie sehr sie sich bis­lang der öffentlichen Beobach­tung entziehen kon­nten.

Um Außenstehende anzusprechen, muss die menschliche Dimension der Wissenschaft herausgestellt werden

Damit eine solche Debat­te über die Wis­senschaft und ihre Entwick­lung in Gang kom­men kann und Wis­senschaft­skri­tik nicht länger die Domäne poltern­der Ver­schwörungs­the­o­retik­er und eso­ter­isch­er Pseudowis­senschaftler bleibt, muss die Wis­senschaft und ins­beson­dere die Wis­senschaft­skom­mu­nika­tio­nen sich ein­er Sache besin­nen:

Men­schen sind primär nicht ratio­nal urteilende, son­dern sinnlich wahrnehmende – also ästhetisch empfind­same Wesen, die sich ganz selb­stver­ständlich darum bemühen, das Schöne in der Welt zu ent­deck­en. (S. 10)

Diese Eigen­schaft, das Streben der Men­schen nach Schönem und dem sinnlichen wie geisti­gen Erfahren der Welt kann sich mod­erne Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion zunutze machen, indem sie die han­del­nden Per­so­n­en, ihre Gefüh­le und ihre Lei­den­schaften stärk­er her­ausstellt. Dabei geht es nicht um Starkult oder Home­sto­ries, son­dern um die Möglichkeit, sich mit Men­schen zu iden­ti­fizieren, sich mit ihnen ver­bun­den zu fühlen und von ihnen faszinieren zu lassen. All dies sind Dinge, die eine ele­gante Gle­ichung nur bei weni­gen Per­so­n­en zu leis­ten in der Lage ist:

Wis­senschaft kommt schließlich nicht nur aus dem Kopf, son­dern auch aus dem Herzen, und was liegt näher, als die bei­den sich ergänzen­den Quellen unseres Erken­nt­nisver­mö­gens auch dann einzuset­zen, wenn es darum geht, die Wis­senschaft so zu ver­mit­teln, dass etwas zu ver­ste­hen ist. (S. 206)

Wissenschaft muss nicht leichter erklärt, sondern in eine menschliche Qualität transformiert werden

Eine stärkere Beto­nung der emo­tionalen und men­schlichen Seite der Wis­senschaft muss jedoch nicht bei ein­er Pes­on­al­isierung ste­hen­bleiben. Auch kom­plexe wis­senschaftliche Erken­nt­nisse kön­nen einem bre­it­eren Pub­likum ver­ständlich gemacht wer­den. Dabei wen­det sich Fis­ch­er jedoch gegen die klas­sis­che Wis­senschaftsver­mit­tlung der vere­in­facht­en Erk­lärung oder der Analo­gie. Ihm geht es nicht darum, dass Nicht-Wis­senschaftler den Gedanken­gang der Forsch­er nachvol­lziehen oder das spez­i­fis­che Mod­ell in Ansätzen ver­ste­hen kön­nen. Er möchte das Gefühl und die Erfahrung ver­mit­teln, die Wis­senschaftler mit ihrer Arbeit verbinden:

Wenn Döblin sich beklagt, dass er den Kos­mos nicht ver­ste­hen kann, weil er mit den math­e­ma­tis­chen Begrif­f­en nicht zurechtkommt, dann ver­sucht er ein grundle­gen­des Bedürf­nis durch ein unpassendes Argu­ment zu recht­fer­ti­gen. Man muss ihm keinen Nach­hil­fe­un­ter­richt in Ten­so­r­analy­sis geben. Man muss ihm ein Sym­bol oder ein Bild vor­legen, das seine Wahrnehmung anspricht, und zwar so, dass dabei das Bild des Kos­mos entste­ht, das Ein­stein ver­ste­ht. (S. 219)

Dabei lässt sich vielle­icht eine Analo­gie in der Über­set­zung von Poe­sie in eine andere Sprache sehen: Anstelle ein Gedicht in eine vere­in­fachte Form der Aus­gangssprache zu über­führen, wählt der Über­set­zer im Ide­al­fall die Worte der Ziel­sprache, die vor deren kul­turellen Hin­ter­grund ähn­liche Empfind­un­gen her­vor­rufen. Ein schönes Beispiel für eine solche Über­tra­gung aus der Wis­senschaft find­et Fis­ch­er in einem Brief Hein­rich von Kleists aus dem Jahr 1800:

Dann schildert der Dichter, wie er sin­nend durch ein gewölbtes Tor in die Stadt Würzburg gelangt, um sich plöt­zlich zu fra­gen, warum »sinkt wohl das Gewölbe nicht ein, da es doch keine Stütze habe«. Wir gewöhn­lichen Sterblichen hät­ten vielle­icht von Kräftepar­al­lel­o­gram­men und der Sta­bil­ität von Mör­tel gesprochen und brav wis­senschaftliche Grunde ange­führt. Kleist jedoch denkt weit­er: »Es ste­ht, antwortete ich, weil alle Steine auf ein­mal ein­stürzen wollen«, und er gewin­nt daraus sog­ar eine Hoff­nung für sein Leben, näm­lich die, »daß auch ich mich hal­ten würde, wenn alles mich sinken läßt«. (S. 244)

Auch wenn es dem nüchter­nen Wis­senschaftler unangemessen vorkom­men mag, eine solche poet­is­che Darstel­lung ist vie­len Men­schen näher, als eine abstrakt-math­e­ma­tis­che. Natür­lich ist eine solche Über­tra­gungsleis­tung eine anspruchsvolle Auf­gabe und wer sie auf sich nimmt, braucht einen Fuß in bei­den Wel­ten: in der Welt der abstrak­ten Ideen, der wis­senschaftlichen Methodik und der Sprache der Math­e­matik eben­so wie in der Welt der aus­drucksstarken Bilder, der bedeu­tungsre­ichen Sprache und der men­schlichen Emo­tio­nen. Er (oder sie) muss Staunen aus­lösen und Lei­den­schaften ein­fan­gen kön­nen, die in der wis­senschaftlichen Diskus­sion als fremd ange­se­hen und in den Bere­ich des Pri­vat­en ver­drängt wer­den. Damit ändert sich dann möglicher­weise auch das Ver­hält­nis zwis­chen Wis­senschaft und Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion:

Bish­er gilt Wis­senschaft als schw­er und die Ver­mit­tlung als ein­fach. Vielle­icht ist es ger­ade umgekehrt. Vielle­icht ist die Ver­mit­tlung von Wis­senschaft schw­er […]. (S. 261)

Hin­ter Fis­ch­ers schar­fen Aus­sagen zur Wis­senschafts-PR ste­ht dem­nach eine alter­na­tive Idee von der Ver­mit­tlung von Wis­senschaft. Es braucht ver­mut­lich keine Abschaf­fung des Beste­hen­den, aber vielle­icht würde eine Beto­nung der von Fis­ch­er her­vorge­hobe­nen Seite in der Wis­senschaft­skom­mu­nika­tion dieser auch eine Aufw­er­tung ihrer Rolle und ihres Sta­tus in der öffentlichen Diskus­sion bedeuten.

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