Erst verstehen, dann abschaffen

In jedem Bere­ich gibt es die Reformer*innen, die am lieb­sten alles Alte abschaf­fen und durch Neues erset­zen möcht­en. Dabei sind es beson­ders die Dinge, die aus heutiger Per­spek­tive vol­lkom­men sinn­los wirken, welche als Erste dem Reformeifer zu Opfer fall­en. Dass ein der­ar­tiges Vorge­hen eine schlechte Idee sein kann, beschreibt der britis­che Autor G. K. Chester­ton schon 1929 in seinem Buch The Thing:

There exists in such a case a cer­tain insti­tu­tion or law; let us say, for the sake of sim­plic­i­ty, a fence or gate erect­ed across a road. The more mod­ern type of reformer goes gai­ly up to it and says, “I don’t see the use of this; let us clear it away.” To which the more intel­li­gent type of reformer will do well to answer: “If you don’t see the use of it, I cer­tain­ly won’t let you clear it away. Go away and think. Then, when you can come back and tell me that you do see the use of it, I may allow you to destroy it.”

Die Lehre daraus ist eigentlich ganz ein­fach: Wenn wir den Sinn oder die Funk­tion von etwas nicht ver­ste­hen, soll­ten wir erst mal sehr genau über­legen, warum es dieses Ding dann über­haupt gibt. Warum es irgend­wann irgend­je­mand mal für sin­nvoll hielt, es einzuführen und warum es seit­dem nicht abgeschafft wurde. Erst wenn wir das in dem konkreten Einzelfall wirk­lich ver­standen haben, soll­ten wir uns daran machen, es selb­st abzuschaf­fen oder zu reformieren.

Dieser Ansatz wirkt sich zum Beispiel auf die rechtliche Reg­ulierung aus: Auch wenn eine Regelung auf den ersten Blick und aus juris­tis­ch­er Per­spek­tive sinn­los oder unl­o­gisch erscheint, heißt dies keineswegs, dass sie nicht im Gesamtkon­text doch richtig sein kann. Vielle­icht passt sie sehr genau zu der fak­tis­chen Real­ität in dem Bere­ich und stellt sein Funk­tion­ieren sich­er. Vielle­icht ist sie auch bewusst etwas vage, um das zu ermöglichen, was Ste­fan Kühl Brauch­bare Ille­gal­ität nen­nt, also Ver­hal­ten, das eigentlich als Regel­bruch geah­n­det wer­den müsste, das aber notwendig ist, um dem Sinn der Regel Rech­nung zu tra­gen oder das große Ganze zu stärken. Ein Graubere­ich eben, den man manch­mal bess­er unange­tastet lässt.

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