Ambiguitätstoleranz in der Wissenschaft

Der Wis­senschaft kommt in der öffentlichen Debat­te die Funk­tion zu, klare und ein­deutige Antworten auf rel­e­vante Fra­gen zu liefern und damit grund­sät­zlich Ambi­gu­i­tät in der Gesellschaft zu reduzieren.

Ger­ade bei gesellschaftlich hoch-rel­e­van­ten The­men wie zum Beispiel der Coro­na-Pan­demie wer­den diese Antworten auch erwartet, um richtig han­deln zu kön­nen. Diese Erwartung dient unter anderem dazu, den Einzel­nen von der Ver­ant­wor­tung zu ent­las­ten, per­sön­lich eine Entschei­dung auf unsicher­er Wis­sens­grund­lage zu tre­f­fen.

Dabei wird aber offen­bar, dass es die eine richtige Antwort auch in der Wis­senschaft nur sel­ten gibt, aber es trotz­dem sin­nvoll ist, sich an ihren Empfehlun­gen zu ori­en­tieren – solange sie auf einem entsprechen­den wis­senschaftlichen Kon­sens basieren. Dabei gibt es eine inhärente Unsicher­heit oder Ambi­gu­i­tät in der Wis­senschaft, mit der die Öffentlichkeit umzuge­hen ler­nen muss – siehe dazu z.B. Laeti­tia Lenels Essay zu Pub­lic and Sci­en­tif­ic Uncer­tain­ty in the Time of COVID-19.

Dafür ist es wichtig, dass in der Gesellschaft deut­lich wird, dass Posi­tio­nen im wis­senschaftlichen Diskurs etwas anderes sind als ein ein­fache und per­sön­lich­er Mei­n­un­gen. Son­dern eben der Kern des wis­senschaftlichen Arbeit­ens und Erken­nt­nis­prozess­es: Diskus­sio­nen und Zweifel sind hier sys­tem­a­tisiert und müssen sich an (mehr oder weniger) stren­gen Qual­ität­skri­te­rien messen lassen. Das Ver­trauen muss sich also auf den Prozess richt­en, ein­fach weil einzelne Per­so­n­en niemals in der Lage sind, wis­senschaftliche Fra­gen in ihrer gesamten rel­e­van­ten Kom­plex­ität zu erfassen.

Eine Alter­na­tive – bzw. eine par­al­lele Entwick­lung ger­ade auch inner­halb der Wis­senschaft – wäre, dem Vorschlag von Bruno Latour zu fol­gen und von ein­er Kul­tur der Wis­senschaft zu ein­er Kul­tur der Forschung zu wech­seln. Dies bedeutet jedoch einen grundle­gen­den gesellschaftlichen Par­a­dig­men­wech­sel: Dabei geht es darum, dass die Wis­senschaft nicht von außen auf die chao­tis­che Gesellschaft blickt und dieser Ord­nung bieten kann, son­dern dass sie selb­st ein Teil dieser Gesellschaft ist. Diese Erken­nt­nis muss sich aber nicht nur auf Seit­en der Wis­senschaft etablieren, son­dern auch inner­halb der Gesellschaft, in der die Wis­senschaft meist entwed­er ide­al­isiert oder ver­teufelt wird.

Quellen

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