Wissenschaftliches Schreiben als Handwerk

Nach­dem ich mich jet­zt nicht „nur“ im Netz, son­dern auch haupt­beru­flich mit dem wis­senschaftlichen Arbeit­en und Schreiben in all seinen Facetten auseinan­der­set­ze, nutze ich die äußerst span­nende Blog­pa­rade von Natascha Miljkovic dazu, mal ein paar Gedanken zur Rolle wis­senschaftlichen Arbeit­ens und sein­er Ver­mit­tlung festzuhal­ten.

Wis­senschaftlich­es Schreiben ist mehr als the­o­retis­che Über­legung und empirische Unter­suchung: Wis­senschaftlich­es Schreiben ist ein Handw­erk, in dem es darum geht, aus möglichst gutem Roh­ma­te­r­i­al mit der Hil­fe geeigneter Werkzeuge und der eige­nen handw­erk­lichen Kom­pe­tenz ein Pro­dukt zu schaf­fen.

Klar gewor­den ist mir dies, als ich vor eini­gen Jahren das Buch „Handw­erk“ von Richard Sen­nett (alle Zitate aus dem englis­chen Orig­i­nal „The Crafts­man„) gele­sen habe, in dem er die (vielle­icht etwas ide­al­isierte) Arbeitsweise des klas­sis­chen Handw­erks und ihre sozialen wie indi­vidu­ellen Kon­se­quen­zen aufzeigt und der heuti­gen indus­triellen Massen­pro­duk­tion gegenüber­stellt.

Sein Ver­ständ­nis eines Handw­erk­ers lässt sich dabei in meinen Augen gut auf die Frage nach dem wis­senschaftlichen Arbeit­en über­tra­gen:

„Every good crafts­man con­ducts a dia­logue between con­crete prac­tices and think­ing; this dia­logue evolves into sus­tain­ing habits, and these habits estab­lish a rhythm between prob­lem solv­ing and prob­lem find­ing.“

Genau wie handw­erk­lich­es Arbeit­en, ist wis­senschaftlich­es Schreiben gekennze­ich­net durch die Kom­bi­na­tion aus men­taler Arbeit und ihrer Man­i­fes­ta­tion in der Welt – in unserem Fall meist in der Form von ver­schriftlichter Sprache. Ideen, Beobach­tun­gen und empirische Erken­nt­nisse sind dabei unsere Roh­ma­te­ri­alien, die wir der Hil­fe divers­er Tech­niken und Werkzeuge man­i­festieren: z.B. mit Struk­turierungs- und Argu­men­ta­tion­stech­niken, wis­senschaftlich­er (Fach-)Sprache und Textver­ar­beitung­spro­gram­men.

Die Ver­mit­tlung des Handw­erks wis­senschaftlichen Arbeit­ens an Hochschulen entspricht jedoch in diesem Bild zu oft dem Schmiede­meis­ter, der seinem Lehrling umfan­gre­ich­es the­o­retis­ches Wis­sen über Eisen­erz und Kohle ver­mit­telt, ihm dann eine Schaufel in die Hand drückt und ver­langt: „Schmiede mir einen Dolch!“

Fach­wis­senschaftler set­zten die Ken­nt­nis der notwendi­gen Tech­niken und Werkzeuge voraus und sind sich der unglaublichen Kom­plex­ität nicht bewusst, die zu meis­tern sie selb­st auch erst müh­sam ler­nen mussten. Hier kann eine Didak­tik wis­senschaftlichen Schreibens anset­zen.

Das Ziel dieser Didak­tik ist, die Studieren­den in die Lage zu ver­set­zen, wis­senschaftliche Texte zu ver­fassen und dabei tat­säch­lich in erster Lin­ie über die Inhalte und die Argu­men­ta­tion nach­denken zu kön­nen. Wie bei jed­er Kom­pe­tenz, die schlussendlich automa­tisch einge­set­zt wer­den soll, gilt es dabei, den Studieren­den entsprechende Tech­niken zu ver­mit­teln und diese wieder und wieder zu üben, damit sich nach und nach eine entsprechende Rou­tine ein­stellen kann.

Dabei ist es wichtig darauf zu acht­en, dass die Studieren­den das wis­senschaftliche Schreiben nicht als aus Außen aufer­legte Pflicht ver­ste­hen, son­dern dass sie die zugrun­deliegen­den Prinzip­i­en und Erwartun­gen ver­ste­hen und verin­ner­lichen, ja sie im Ide­al­fall sog­ar zu einem Teil ihrer eige­nen Iden­tität machen. Sie soll­ten anfan­gen, sich selb­st als Teil der wis­senschaftlichen Com­mu­ni­ty zu sehen und deren Qual­ität­sansprüche übernehmen. Woran das oft scheit­ert, beschreibt René Mertens in seinem äußerst lesen­werten Beitrag: „Nun sag, wie hast du’s mit der Wis­senschaft?“ – die faustis­che Gretchen­frage wis­senschaftlichen Arbeit­ens aus Studieren­den­sicht

Wenn wir es schaf­fen, Studieren­den das wis­senschaftliche Arbeit­en und Schreiben in dieser Form zu ver­mit­teln, ist ein zen­trales Ziel der Hochschul­bil­dung erre­icht. Die Absol­ven­ten sind dann nicht nur in der Lage, die geforderten Qual­itäts­stan­dards bei Bedarf zu erre­ichen, sie machen sie zu einem Teil ihrer selb­st und nutzen sie als per­sön­lichen Maßstab für ihre eigene Arbeit und die Arbeit ander­er:

„The desire to do some­thing well is a per­son­al lit­mus test; inad­e­quate per­son­al per­for­mance hurts in a dif­fer­ent way than inequal­i­ties of inher­it­ed social posi­tion or the exter­nals of wealth: it is about you.“

Quellen

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