Die intrinsische Perspektive entwickelte sich mit dem Roman

Die Geschichte des menschlichen Denkens lässt sich entlang der Entwicklung einer externen und einer internen Perspektive nachzeichnen. Mit Blick auf die interne Perspektive stellt Erik Hoel in seinem Buch The World Behind the World: Consciousness, Free Will, and the Limits of Science eine steile These vor, für die es in meinen Augen mehr Belege braucht, über die es sich aber lohnt, nachzudenken: Erst mit der Entstehung der literarischen Form des Romans hat sich die interne Perspektive in ihrer heutigen ausgefeilten Form entwickelt.

Er beginnt bei seiner kurzen Rekonstruktion im alten Ägypten, über das er schreibt:

For the ancient Egyptians, characters’ reactions, even their emotional ones, are flat and simplistic, playing out on the surface, close to behavior. It is as if they did not know how deep minds go. What they lacked was a good language for the subtleties of the mind, for its internal structure, what is called phenomenology.

Den nächsten großen Schritt machten dann die antiken Griechen, bevor die interne Perspektive sich dann im antiken Rom zum ersten Mal fast vollständig ausprägte:

Evidence of “intrinsic technologies” speaks to a shift. Like so many things in ancient Greece around that time, the intrinsic perspective seemed to leap forward, especially around Athens and in the time of the sophists— intellectuals for hire who practiced and taught classes in subjects we would recognize as modern, like rhetoric and philosophy.

Sein zentrales Argument für diese These stammt aus der Untersuchung der entsprechenden überlieferten Schriften und deren emotionaler Tiefe und Komplexität. So bezieht er sich auf kulturwissenschaftliche Forschung, die herausarbeitet, dass vor der Antike das mentale Leben der Menschen kaum beschrieben wird und aus heutiger Perspektive überraschend oberflächlich und undifferenziert erscheint.

Vor diesem Kriterium ist es nicht überraschend, wenn Hoel dem Schluss folgt, die interne Perspektive habe sich erst mit der Entwicklung des Romans in der heutigen Form entwickelt. Hier findet sich die komplexe Sprache über ein differenziertes Innenleben, die Hoel und die anderen Autor*innen erwarten. Das Argument ist nicht unplausibel, der Zusammenhang zwischen Schluss und Ausgangspunkt ist mir aber ein bisschen zu eng, um es unbesehen zu akzeptieren.

Hoel schließt mit einem Vergleich der Zyklopen-Szene aus der Odyssee Homers und deren moderner Adaptions in James Joyces Ulysses:

Perhaps nothing better sums up the historic development of the intrinsic perspective than this journey from an emotionless reaction to the most fantastical of beasts, all the way to a fantastical internal reaction to the mere sight of a common dog and its owner.