Auch Fußballtaktik ist kapitalistisch geprägt

Gerade ist mir ein kurzes Video über die Taktik eines konkreten brasilianischen Vereins über den Weg gelaufen, in dem sich sehr schön zeigt, wie sich im Fußball übergreifende gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln – und zwar nicht nur im Hinblick auf seine zunehmende Geld-Fixierung:

Dabei geht es in erster Linie darum, dass der europäische #Fußball in hohem Maße darauf setzt, Räume zu kontrollieren und Freiräume zu schaffen. Dazu wird der Mannschaft eine Struktur verordnet, die den Platz als Ganzes in den Blick nimmt. Es gibt eine (metaphorische) Taktiktafel, auf der Zonen und Positionen benannt sind, die dann von den Spielern eingenommen werden. Es wird also der gesamte Raum innerhalb seiner vorgegebenen Grenzen betrachtet – im raumsoziologischen Sinne also ein Blick auf den Container-Raum.

Der brasilianische Verein Fluminense hingegen fokussiert sich vielmehr auf die konkreten Beziehungen der Spieler untereinander, die sich in einer konkreten Situation ergeben. Auf diese Weise entsteht ein dynamischeres und flexibleres Spiel, mit dem die Mannschaft aktuell sehr erfolgreich ist.

Dazu braucht es jedoch eine andere von Spieler, was uns zu der Parallele zwischen industrieller Produktion und moderner Fußball-Taktik bringt: Eine solche strukturelle Herangehensweise entspricht zu weiten Teilen dem tayloristischen Ideal des scientific management, bei dem Herren in Weiß den Produktionsprozess im Detail vorplanen und die Herren und Damen in Blau ihn „nur noch“ ausführen. Im Fußball ist es nun eben der Trainer mit seinem Stab, der Strukturen schafft, Rollen und Positionen definiert und diese dann von den Spielern „nur“ noch ausgefüllt werden.

Auch hier geht Fluminense einen anderen Weg und setzt in hohem Maße auf die Fähigkeit der Spieler, eigene Entscheidungen zu treffen und spontan auf sicher verändernde Umstände zu reagieren. Das macht sie für „europäisch“ spielende Mannschaften wieder „zu individualistisch“, obwohl sie sich auch hier voll in den Dienst der Mannschaft stellen – aber eben nicht in den der Struktur.

Vielleicht trägt auch dieser Struktur-Fußball neben der zunehmenden Kommerzialisierung dazu bei, dass die Fans sich von ihrem Sport entfremden oder – in Hartmut Rosas Worten gesprochen – keine Resonanz mehr entsteht. Denn wie Rosa in seinen Büchern Resonanz und Unverfügbarkeit beschreibt: Der größte Feind der Resonanz ist die vollkommene Verfüg- und Berechenbarkeit – und genau das ist letztlich das Ziel des modernen strukturzentrierten Fußballs…