Religiöser Extremismus ist auch eine Folge der Individualisierung

Ein hoch-aktuelles und ein­drück­lich­es Beispiel für die Schat­ten­seit­en des Indi­vid­u­al­is­mus find­et sich in der aktuellen Ver­bre­itung des radikalen Islamis­mus. Dieser ist näm­lich keineswegs im Kern des Islam angelegt, son­dern eine Ide­olo­gie des 20. Jahrhun­derts, wie sowohl Ed Husain in Weltof­fen aus Tra­di­tion als auch Thomas Bauer in Die Verein­deu­ti­gung der Welt nachze­ich­nen:

Über die Jahrhun­derte hin­weg spiel­ten in der islamis­chen Glaubenslehre de Gelehrten eine zen­trale Rolle, die die religiösen Schriften inter­pretierten und in einen kom­plex­en Kon­text stell­ten. So kon­nten die religiösen Lehren immer wieder an die Zeit angepasst wer­den und als prag­ma­tis­che Ori­en­tierung dienen. Der mod­erne Islamis­mus löst nun aber die Schriften aus diesem Kon­text und legt die Inter­pre­ta­tion (vorge­blich) in die Hände des Indi­vidu­ums. Dies führt dazu, dass alle bish­eri­gen Inter­pre­ta­tio­nen und damit Jahrhun­derte der Geis­tes­geschichte abgelegt wer­den und die Schriften wieder weitest­ge­hend wörtlich inter­pretiert wer­den. Auf diese Weise ver­lieren die Schriften Ihre Kom­plex­ität und scheinen auf den ersten Blick wesentlich ein­fach­er und zugänglich­er. Damit gewin­nen indi­vidu­elle Predi­ger an Macht, die um ihre indi­vidu­elle Inter­pre­ta­tion herum eine Gefol­gschaft auf­bauen kön­nen.

Eine ähn­liche Entwick­lung zeigt sich auch im Chris­ten­tum, wo in vie­len Staat­en evan­ge­likale Chris­ten sich auf der Grund­lage ein­er wörtlichen Inter­pre­ta­tion der Bibel gegen die mod­erne und lib­erale Gesellschaft stellen.

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