Analoge Zettelkästen haben Stärken, die digitale nicht abbilden können

Es ist eine ewige Diskus­sion: dig­i­tal oder ana­log? Egal ob beim Lesen, beim Schreiben oder beim Denken. Es scheint einen grundle­gen­den Kon­flikt zu geben zwis­chen dem Analo­gen – dem „Echt­en“ eben – und dem Dig­i­tal­en – dem Ersatz, dessen offen­sichtliche Nachteile man in Kauf nimmt, weil er halt so prak­tisch ist.

Der Sirenenruf des Digitalen

Dieselbe Diskus­sion gibt es auch um den Zettelka­s­ten, wobei die Diskus­sion hier lange Zeit entsch­ieden schien: Das Dig­i­tale ist flex­i­bler, es ist schneller und es bietet zahlre­iche Möglichkeit­en, die sich in einem analo­gen Zettelka­s­ten nicht abbilden lassen: kom­plexere und umfan­gre­ichere Ver­linkun­gen, inklu­sive der automa­tis­chen Anzeige aller Zettel, die auf einen anderen Zettel ver­weisen. Es sind kom­plexe Schlag­wort-Struk­turen möglich, automa­tis­che Erfas­sun­gen und Umwand­lun­gen und schließlich auch ein kon­tinuier­lich­es Über­ar­beit­en der existieren­den Zettel. Ein Paradies für Notiz-Freaks, möchte man denken.

Dachte ich auch. Doch dann schlug die Col­lec­tors Fal­la­cy zu – der Glaube, dass alleine das Sam­meln viel­er Infor­ma­tio­nen bzw. Zettel ein gutes Denken, ein pro­duk­tives Denken aus­macht. Die Ein­fach­heit der Arbeit ver­leit­et dazu, immer mehr ober­fläch­lich zu sam­meln und nicht mehr zwis­chen wirk­lich rel­e­vant und weniger rel­e­vant zu unter­schei­den. Inner­halb von anderthalb Jahren hat­te ich in mein­er Freizeit mehr als 1000 Zettel pro­duziert und ver­schlag­wortet. „Immer her damit! Kost‘ ja nix!“.

Tja, tut es doch: Zeit, Aufmerk­samkeit und Energie, die bess­er in der Struk­turierung vorhan­den­er Noti­zen oder der Entwick­lung eigen­er Gedanken aufge­hoben wäre. So hat­te ich immer weniger selb­st geschrieben. Wie so oft ist die absolute Frei­heit ver­führerisch: Sie ver­leit­et dazu, sich zu ver­lieren, dauernd zu opti­mieren und neue Dinge auszupro­bieren. Auch vol­lkom­men offene Struk­turen haben die Ten­denz, kom­plex zu wer­den, zu zer­fasern und ihren Fokus zu ver­lieren.

Kreativität der Begrenzung und der Reibung

Also habe ich es mit einem analo­gen Zettelka­s­ten ver­sucht. Und siehe da: Ich bin beim Lesen und beim Schreiben der Noti­zen fokussiert­er. Die Dinge laufen mehrfach durch meinen Kopf, bevor ich sie im Zettelka­s­ten ver­ankere und dort haben sie wirk­lich eine feste Posi­tion. Das zwingt mich auch, das eine oder andere Mal genauer nachzu­denken, wo ich einen Zettel jet­zt platziere und welche Num­mer ich ihm gebe. Ich schaue alte Zettel und mein Stich­wortverze­ich­nis durch und suche aktiv nach Verbindun­gen und Assozi­a­tio­nen. Das kan­nte ich vom Dig­i­tal­en vorher nicht.

Durch das Schreiben per Hand entste­ht zudem ein gewiss­er Wider­stand, einen Gedanken in den Zettelka­s­ten aufzunehmen. Das fungiert als Fil­ter, als kleine Bar­riere, die dafür sorgt, dass ich nicht jeden Kleinkram aufnehme, son­dern mir genau über­lege, wo ich meine Energie investiere. Was ich nicht sofort ein­binde, kann ich ja immer noch später aufnehmen, wenn ich mich mit dem entsprechen­den The­ma beschäftige.

Schließlich bieten die physis­chen Karten auch einen alter­na­tiv­en Arbeitsmodus als das Dig­i­tale, das mich ohne­hin den ganzen Tag begleit­et. Ich kann meinen Blick auf etwas anderes richt­en als den Bild­schirm, meine Hände kön­nen sich anders bewe­gen als mit der Maus und mein Hirn räum­lich­er denken. Um meinen Sohn zu zitieren: „Ich mag das.“

Vielle­icht führt genau diese Physikalität dazu, dass sich Zettel nicht so dif­fus anfühlen, wie dig­i­tale Noti­zen. Son­dern eben konkret, man­i­festiert und damit weniger entro­pisch.

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