Etwas kraftloses Inferno im Dortmunder Opernhaus


Nach Pink Floyd am westlichen Ende des Dortmunder Walls ging es am selben Tag abends das südliche Ende ins Opernhaus. Als Kontrastprogramm stand der erste Teil der geplanten Ballett-Trilogie Die Göttliche Komödie, Inferno auf dem Programm. So kontrastig war das aber gar nicht, denn auch hier ging es um die innovative Umsetzung von Themen, Ideen bzw. Handlung in Kunst – diesmal eben im Ballett.

Erster Teil einer geplanten Trilogie

Porträt des Dante Alighieri, Sandro Botticelli, um 1495

Inferno ist dabei nur der erste Schritt, das bekannteste Werk des italienischen Dichters Dante Alighieri als Ballett zu inszenieren. Für die nächste Saison ist dann der zweite Teil Purgatorio geplant, bevor in der Saison 2020/21 schließlich das große Finale mit allen drei Teilen kommen soll. Entsprechend war Inferno mit einer Dauer von knapp 75 Minuten auch relativ kurz. Verantwortlich für dieses doch etwas wahnwitzige Projekt sind der Dortmunder Chefchoreograf Xin Peng Wang und Dramaturg Christian Baier. Die Musik zu Inferno haben die beiden dabei von Michael Gordon übernommen und seinem Soundtrack zu dem experimentellen Film Decasia.

Da das Stück nur knapp länger ist als eine Stunde, fand ich die geplante Einführung von 35 Minuten schon relativ lang. Glücklicherweise machte Dramaturg Baier sie sehr interessant und unterhaltsam. Unter anderem gab er Einblicke in den Entstehungskontext der Göttlichen Komödie: So wurde Dante aus seinem heimatlichen Florenz verbannt und für vogelfrei erklärt und schrieb die Komödie auf seiner 19-jährigen Flucht durch Nord- und Mittelitalien. Entsprechend konnte er sich in dem Text auch etliche Seitenhiebe auf Florenz nicht verkneifen.

Baier fasste auch die Geschichte des Stücks kurz zusammen und macht dann die Ansage, an der sich das anschließende Geschehen auf der Bühne messen lassen muss: Das Stück solle nicht im engeren Sinne „nacherzählt“, sondern „fühlbar gemacht“ werden. Genau das gelingt in meinen Augen aber zu wenig, was in meinen Augen sowohl an der Musik als auch an der Choreografie liegt.

Inferno leider ohne körperliche Wucht

Auch wenn der Orchestergraben weit geöffnet ist, kommt die Musik an diesem Abend vom Band. Das ist vermutlich bei diesem Stück nicht anders möglich, schränkt aber grundlegend die Möglichkeit ein, die Zuschauer wirklich körperlich zu packen. Ein Orchester bietet da einfach ein ganz anderes Volumen und ein viel unmittelbareres Erlebnis. Selbst die Lautsprecheranlage im Saal schien mir entweder unterdimensioniert oder nicht ausgereizt und das obwohl Christian Baier in der Einführung noch eine hohe Lautstärke angekündigt hatte. Schon in der sechsten Reihe konnte ich die Musik nur selten wirklich fühlen. Und da die Musik dann auch noch sehr abstrakt daherkam, löste sie zumindest bei mir auch über den Kopf keine große emotionale Wirkung aus. Im Gegensatz zum Beispiel zum hervorragenden – aber eben auch vom Orchester gespielten – Einstein on the Beach.

Mein zweiter persönlicher Kritikpunkt ist die Choreografie, die meinem Empfinden nach ebenfalls nicht die passenden Emotionen vermittelt. Dabei muss ich allerdings vorwegschicken, dass ich die Bild- und Formensprache des klassischen Balletts nicht kenne, mich also hier auf meinen intuitiven Eindruck verlassen muss.

Zu Erinnerung: Das Stück stellt die Hölle dar, in der Menschen leiden und im Elend leben – voller Schmerz. Was machen die Tänzer*innen aber auf der Bühne: große, kraftvolle Bewegungen voller Eleganz in den kleinen Gruppen und schnelle und hektische Bewegungen in den großen Gruppen. Das ist für mich intuitiv genau das Gegenteil von dem, was ich mit Elend und Schmerz verbinden würde und spricht mich daher emotional nicht an. Zumindest im Theater sind das nämlich Zeichen für einen hohen Status, was irgendwie das Letzte ist, was ich mit der Hölle verbinden würde.

Eindrucksvolle Bilder durch Kostüme, Bühnenbild und Licht

Foto: Maria-Helena Buckley / Theater Dortmund

Nach der ganzen Kritik an Musik und Choreografie kann ich über die anderen visuellen Aspekte des Stücks nur Gutes berichten: Die von Bernd Skodzig konzipierten Anzüge im Stil alter Kupferstiche des menschlichen Körpers schaffen eine dunkle und leicht verstörende Atmosphäre. Dabei werden sie hervorragend vom reduzierten Bühnenbild von Frank Fellmann unterstützt, ebenso wie vom eindrucksvollen Licht von Carlo Cerri. Diese Aspekte der Produktion sorgen dafür, dass Inferno immer wieder mit sehr starken Einzelbildern aufwarten kann.

Insgesamt bewegt sich Inferno in meinen Augen irgendwo zwischen verpassten Chancen und den Grenzen des Formats im modernen Ballett. Das wirklich auf allen Ebenen starke Ende hat gezeigt, was möglich gewesen wäre, wenn Wang und Baier auf eine stärker erzählende Dramaturgie und eine klarere Symbolik gesetzt hätten. Die Abschlussszene, in der die geschundenen Menschen den befreienden Turm besteigen, wäre zum Beispiel so viel stärker gewesen, wenn dieser Turm schon vorher klar als die ersehnte Erlösung platziert worden wäre und nicht nur unbeachtet im Hintergrund gestanden hätte. So bleiben die beiden ersten Drittel des Stücks leider eher diffus.

Die Grenzen des Formats erreicht das Ballett vielleicht da, wo es explizit darum geht, Leid und Elend über längere Strecken darzustellen. Es lebt nun mal von Athletik, Kraft und Eleganz und steht damit im krassen Gegensatz zu diesen Emotionen.

Auch wenn das jetzt nach sehr viel Kritik klang, war Inferno für mich ein äußerst spannender Abend – wenn auch nicht, wie erwartet und angekündigt, durch seine sinnlich-emotionale Wucht. Stattdessen hat es mir die Möglichkeit gegeben zu beobachten, zu interpretieren und das Format des modernen Balletts kennenzulernen, das mir bis dahin und eigentlich auch jetzt noch sehr fremd ist. Ich denke, dass ich mir deswegen auch den zweiten Teil Purgatorio in der nächsten Saison anschauen werde.

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