Cognitive Load bei der Vermittlung wissenschaftlichen Schreibens [Vortrag]


Am 7. Februar war ich in Coburg und habe auf dem Coburger Symposium Schreiben in den Fächern mal wieder meine Arbeit an der FH-Bielefeld und in dem Modul Organisation und Management vorgestellt. Ende 2018 in Wien ging es dabei in erster Linie um die Verzahnung von fachlicher und methodischer Lehre. In Coburg habe ich mich schwerpunktmäßig mit der Idee des cognitive load berschäftigt und aufgezeigt, wie uns das helfen kann, wissenschaftliches Schreiben effektiver zu vermitteln.

Hier könnt ihr entweder das Handout mit den erweiterten Folien, Notizen und Quellenangaben herunterladen oder eine komprimierte Form des Vortrags lesen:

1 Was ist das Problem?

Ausgangspunkt ist das Modul Organisation und Management an der FH Bielefeld, in dem ich seit mittlerweile fast vier Jahren arbeite. Es ist in erster Linie Teil des vierten Semesters im Studiengang Wirtschaftsrecht und verfolgt das Ziel, den Studierenden neben den fachlichen Inhalten auch die Grundlagen des wissenschaftlichen Schreibens zu vermitteln. In den 4 Semesterwochenstunden sollen dabei beide Ebenen eng verzahnt werden und nicht losgelöst nebeneinander stehen.

Problem 1: Wissenschaftliches Schreiben als unstrukturiertes Problem

Die erste Schwierigkeit liegt darin, dass das wissenschaftliche Schreibe nicht einfach eine Kompetenz ist, die man so nebenbei lernt, sondern im didaktischen Sinne ein offenes und unstrukturiertes Problem. Und das schon vollkommen unabhängig von den Inhalten, die in einem solchen Text bearbeitet werden. Gleichzeitig lassen sich die Inhalte nicht von der Methode trennen (z. B. Hirsch 2016), wodurch ein auf mehreren Ebenen offenes und unstrukturiertes Problem ensteht.

Diese Art von Problemen ist Ausgangspunkt zahlreicher didaktischer Konzepte, die aus der konstruktivistisch geprägten Theorierichtung kommen: inquiry learning, minimal instruction oder problem based learning. Die konzentrieren sich üblicherweise aber auf den fachlichen Inhalt und nicht allgemeine (Schreib-)Kompetenzen.

Problem 2: Unbekannte Lernform für die Studierenden

Die zweite Schwierigkeit liegt darin, dass das eigenständige wissenschaftliche Denken und Schreiben für die Studierenden eine unbekannte Lernform ist. Dass Lernende Lernformen kennen und einüben müssen, ist mittlerweile in der Didaktik allgemein bekannt, das Problem ist aber noch grundlegender: Offene Lernformen funktionieren nur dann effektiv, wenn die Studierenden selbst einen konstruktivistischen Blick auf das Lernen haben und keinen autoritativen (Barger et al. 2018).

Bei neuen Lernformen sind für Studierende zwei Arten von „Skripten“ gleichzeitig aktiv: die internen Skripte und Routinen aus den Lernformen, die die Studierenden schon kennen, und die neuen und externen, die die Lehrenden neu etablieren wollen (Kollar et al. 2006, 2007). Dadurch enstehen Reibungen und Unsicherheiten, die ernst genommen und verarbeitet werden müssen (Dabbagh et al. 2000; Schultz-Ross & Kline 1999).

Unser Modul ist Teil des Studiengangs Wirtschaftsrecht, der einen sehr deutlichen juristischen Schwerpunkt hat und nur sehr wenige betriebswirtschaftliche Module umfasst. Mit unserem Modul im vierten Semester können wir daher kaum auf bestehenden Erfahrungen mit wirtschaftswissenschaftlicher Arbeit aufbauen.

2 Wie können wir das theoretisch fassen?

Ansatz 1: Cognitive Load

Mein Versuch, mich diesen beiden Problemen theoretisch zu nähern, basiert auf der Idee des cognitive load. Das Konzept kommt aus einer didaktischen Forschungsrichtung, die offenen Lernformen, wie beispielsweise dem PBL, eher kritisch gegenübersteht und seine Wirksamkeit bezweifelt. Es setzt an der Beobachtung an, dass es eines hohen kognitiven Aufwands bedarf, um vielfältige und unstrukturierte Informationen zu integrieren (Chandler & Sweller 1992; Sweller & Chandler 1994; Paas & van Gog 2006; Kirschner, Sweller & Clark 2006) .

Dieser Aufwand führt dazu, dass die Lernenden sich nicht auf einen Aspekt konzentrieren können, sondern ihre Aufmerksamkeit aufteilen müssen, was dann effektives Lernen verhindert (Kalyuga et al. 2003). Wenn Lehrende in solchen Fällen mehr Informationen zur Verfügung stellen, verschärft das das Problem weiter, anstatt es zu lösen (Carroll & Rosson 1987). Es braucht also eine Herangehensweise, die diesen Aspekt von Beginn an berücksichtigt und den cognitive load reduziert.

Ansatz 2: Scaffolding

Das Scaffolding vermittelt eine übergreifende Kompetenz nicht als Puzzle von Teilkompetenzen, sondern versucht, von Anfang an, den Blick auf das Ganze zu haben (van Merriënboer, Kirschner & Kester 2003). Dazu werden die Studierenden insbesondere am Anfang des Prozesses und an bestimmten Schlüsselstellen stark unterstützt – zum Beispiel durch eine Vorstrukturierung des Prozesses oder bestimmter Arbeitssschritte. Diese Unterstützung wird dann nach und nach zurückgefahren.

Ein besonders wichtiger Punkt ist dabei die Hilfe bei der Definition unscharfer Problemstellungen (Zydney 2008). Daher können sich die Studierenden in unserem Modul – innerhalb eines gewissen Rahmens – das Thema bzw. die Frage ihrer Hausarbeit selbst aussuchen. Sie werden dabei jedoch engmaschig begleitet und erhalten mehrfach Feedback auf ihre Ideen. Auf diese Weise können wir die externen Skripte und Anforderungen präsent halten und immer wieder präzisieren (Noroozi et al. 2018).

Ansatz 3: Constructive Alignment

Ausgangspunkt der Planung der Veranstaltung ist das eigentliche Tun der Studierenden als angestrebtes Lernergebnis innerhalb des Moduls (Biggs & Tang 2011). Auf dieses Tun hin werden alle Veranstaltungsinhalte, das formative Feedback im Laufe des Prozesses und auch die Prüfungsleistungen abgestimmt (Biggs 1996, 2012; McCann 2017). Dabei nutzen wir auch die Zwischenschritte auf dem Weg zur Prüfung als Gelegenheiten für formatives Assessment  (Wiliam 2011).

Gerade das kontinuierliche formative Feedback spielt dabei eine zentrale Rolle (Cain, Grundy & Woodward 2017; Nicol & Macfarlane-Dick 2006). Wir nutzen hier zum Beispiel wichtige Meilensteine im Schreibprozess als Feedbackmöglichkeiten.

3 Wie setzen wir das praktisch um?

Lernziel: Sie schreiben eine Hausarbeit im Bereich der Organisationsforschung, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügt.

Um dieses Lernziel zu erreichen, nutzen wir innerhalb des Moduls drei verschiedene Typen von Präsenzveranstaltungen: Fachlich bieten wir kurze Einführungen in zwei wissenschaftliche Theorien der Organisationsforschung an; methodisch seminaristische Veranstaltungen zum wissenschaftlichen Schreiben (O Neill & Hung 2010) und gemeinsame Arbeitsphasen, in denen wir wichtige Arbeitsschritte vorstrukturieren und mit den Studierenden gemeinsam bearbeiten.

Technik 1: Teile der Projektarbeit & Bonusaufgaben

Die Projektarbeit, die die Studierenden in dem Modul neben einer kleinen Klausur als Prüfungsleistung erbringen, haben wir in vier Schritte aufgeteilt: Nach einigen Wochen reichen die Studierenden eine Forschungsfrage ein, die sie in ihrer Arbeit bearbeiten wollen. Diese wird bewertet – aber mit 10 Prozent nur sehr gering gewichtet – und es gibt ein allgemeines Feedback zu den Forschungsfragen anhand von Beispielen im Plenum.

Wenige Wochen später können die Studierenden einen „nullten Entwurf“ ihrer Einleitung einreichen, der nicht bewertet wird, zu dem wir aber ein ausführliches individuelles Feedback-Gespräch anbieten. Nach einer Überarbeitungsphase von zwei Wochen reichen die Studierenden dann eine weitere Fassung der Einleitung ein, die mit geringem Gewicht bewertet wird und auch hierzu gibt es wieder die Möglichkeit eines Feedback-Gesprächs. Am Ende des Semesters reichen die Studierenden dann die endgültige Fassung ihrer Hausarbeit ein – können bis dahin bei Bedarf aber auch noch weitere Feedback-Gespräche nutzen.

Ergänzt wird dieser Prozess um fünf Bonusaufgaben, mit denen die Studierenden Bonuspunkte sammeln können. Diese Aufgaben sind freiwillig, bieten dem Denk- und Schreibprozess der Studierenden aber noch mal eine weitere Strukturhilfe.

Technik 2: Feedback

Damit die Studierenden in der Lage sind, ihre eigene Arbeit einzuschätzen, spielt das kontinuierliche Feedback eine ganz entscheidende Rolle. Dabei ist das Feedback nicht in erster Linie fachlich, wie oft in klassisch-fachlichen Verstaltungen, sondern schreibdidaktisch ausgerichtet. Damit können wir die konkreten Schwierigkeiten beim Schreiben aufgreifen und die Studierenden auf diese Weise praktisch unterstützen. Dazu kommt eine generelle Offenheit und Ansprechbarkeit für Fragen, die von den Studierenden immer wieder positiv hervorgehoben wird. Hier vermischt sich meine Arbeit als Dozent mit der als Schreibberater.

Technik 3: Erwartungen explizit und transparent

Damit die Studierenden einen eigenen wissenschaftlichen Text schreiben können, müssen sie wissen, wodurch sich diese Texte auszeichnen. Sie brauchen einen Blick für die sprachlichen Eigenschaften wissenschaftlicher Texte (Love 2009; Mitchell & Pessoa 2017; Pessoa et al. 2018) und müssen wissen, wie eine Antwort grundsätzlich aussieht (Hmelo-Silver & Barrows 2006). Sie brauchen auch eine grundlegende Ahnung davon, wie Wissen in der Disziplin konstruiert wird (Wingate 2014; Lea & Street 1998).

Deswegen arbeiten wir bewusst und gezielt mit konkreten Textbeispielen aus wirtschaftswissenschaftlichen Primärtexten, mit denen die Studierenden bislang meist noch nicht gearbeitet haben. Auf dieser Grundlage erarbeiten wir mit den Studierenden die Struktur von Texten, den Aufbau von Argumentationen und die sprachliche Ausformulierung.

Quellen

Barger, M. M., Perez, T., Canelas, D. A., & Linnenbrink-Garcia, L. (2018). Constructivism and personal epistemology development in undergraduate chemistry students. Learning and Individual Differences, 63, 89–101. https://doi.org/10.1016/j.lindif.2018.03.006

Biggs, J. (1996). Enhancing teaching through constructive alignment. Higher Education, 32(3), 347–364. https://doi.org/10.1007/BF00138871

Biggs, J. (2012). What the student does: teaching for enhanced learning. Higher Education Research & Development, 31(1), 39–55. https://doi.org/10.1080/07294360.2012.642839

Biggs, J. B., & Tang, C. S. (2011). Teaching for quality learning at university: what the student does (4. ed). Maidenhead: McGraw-Hill, Society for Research into Higher Education & Open University Press.

Cain, A., Grundy, J., & Woodward, C. J. (2018). Focusing on learning through constructive alignment with task-oriented portfolio assessment. European Journal of Engineering Education, 43(4), 569–584. https://doi.org/10.1080/03043797.2017.1299693

Carroll, J. M., & Rosson, M. B. (1987). Paradox of the Active User. In J. M. Carroll (Hrsg.), Interfacing Thought: Cognitive Aspects of Human-Computer Interaction (S. 80–111). Cambridge: MIT Press.

Chandler, P., & Sweller, J. (1996). Cognitive load while learning to use a computer program. Applied Cognitive Psychology, 10, 1–20.

Dabbagh, N. H., Jonassen, D. H., Yueh, H.-P., & Samouilova, M. (2000). Assessing a Problem-Based Learning Approach To An Introductory Instructional Design Course : A Case Study. Performance Improvement Quarterly, 13(3), 60–83. https://doi.org/10.1111/j.1937-8327.2000.tb00176.x

Hirsch, E.D. (2006). Why Knowledge Matters: Rescuing Our Children from Failed Educational Theories. Harvard Education.

Hmelo-Silver, C. E., & Barrows, H. S. (2006). Goals and Strategies of a Problem-based Learning Facilitator. The Interdisciplinary Journal of Problem-based Learning, 1(1), 21–39. https://doi.org/10.7771/1541-5015.1004

Kalyuga, S., Ayres, P., Chandler, P., & Sweller, J. (2003). The Expertise Reversal Effect. Educational Psychologist, 38(1), 23–31. https://doi.org/10.1207/S15326985EP3801_4

Kirschner, P. A., Sweller, J., & Clark, R. E. (2006). Why Minimal Guidance During Instruction Does Not Work: An Analysis of the Failure Of Constructivist, Problem-Based, Experiential and Inquiry-Based Teaching. Educational Psychologist, 41(2), 75–86.

Kollar, I., Fischer, F., & Hesse, F. W. (2006). Collaboration Scripts – A Conceptual Analysis. Educational Psychology Review, 18(2), 159–185. https://doi.org/10.1007/s10648-006-9007-2

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Nicol, D. J., & Macfarlane‐Dick, D. (2006). Formative assessment and self‐regulated learning: a model and seven principles of good feedback practice. Studies in Higher Education, 31(2), 199–218. https://doi.org/10.1080/03075070600572090

Noroozi, O., Kirschner, P. A., Biemans, H. J. A., & Mulder, M. (2018). Promoting Argumentation Competence: Extending from First- to Second-Order Scaffolding Through Adaptive Fading. Educational Psychology Review, 30(1), 153–176. https://doi.org/10.1007/s10648-017-9400-z

O’Neill, G., & Hung, W. (2010). Making Strong Learning Connections. In S. Moore & T. Barrett (Hrsg.), New approaches to problem-based learning (S. 63–74). New York: Routledge.

Paas, F., & van Gog, T. (2006). Optimising worked example instruction: Different ways to increase germane cognitive load. Learning and Instruction, 16, 87–91. https://doi.org/10.1016/j.learninstruc.2006.02.004

Pessoa, S., Mitchell, T. D., & Miller, R. T. (2018). Scaffolding the argument genre in a multilingual university history classroom: Tracking the writing development of novice and experienced writers. English for Specific Purposes, 50, 81–96. https://doi.org/10.1016/j.esp.2017.12.002

Schultz-Ross, R. A., & Kline, A. E. (1999). Using Problem-Based Learning to Teach Forensic Psychiatry. Academic Psychiatry, 23(1), 37–41.

Sweller, J., & Chandler, P. (1994). Why some material is difficult to learn. Cognition and Instruction, 12, 185–233.

Wiliam, D. (2011). What is assessment for learning? Studies in Educational Evaluation, 37(1), 3–14. https://doi.org/10.1016/j.stueduc.2011.03.001

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Zydney, J. M. (2008). Cognitive Tools for Scaffolding Students Defining an Ill-Structured Problem. Journal of Educational Computing Research, 38(4), 353–385. https://doi.org/10.2190/EC.38.4.a

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